Zusammenfassung

 

Hinweis:

Der Beitrag ist zugleich eine Besprechung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 (s. auch ZAP EN-Nr. 699/2019, F. 1, S. 179).

I. Einleitung

1. Bisherige Rechtslage

Die Vorschriften der §§ 31 ff. SGB II konkretisieren den in § 2 des Gesetzes verankerten Grundsatz des Forderns, wonach erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen (§ 2 Abs. 1 S. 1 SGB II). Ferner müssen erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insb. eine Eingliederungsvereinbarung abschließen und, wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht möglich ist, eine ihnen angebotene zumutbare Arbeitsgelegenheit übernehmen (§ 2 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB II).

Die Sanktionsvorschriften sind seit Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 wiederholt umgestaltet (zur Gesetzesentwicklung s. etwa Berlit in Münder, SGB II, 6. Aufl. § 31 Rn 5 ff.) und z.T. von der Sozialgerichtsbarkeit als unverhältnismäßig beanstandet worden (s. z.B. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 13.4.2011 – L 3 AS 332/10, juris Rn 30 – zur inzwischen abgeschafften Sanktionierung der Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, obwohl mit der Möglichkeit des Erlasses eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts – heute § 15 Abs. 3 S. 3 SGB II – ein milderes Mittel zur Verfügung stand und steht, um verbindliche Pflichten für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu regeln).

Eine Minderung der SGB II-Leistungen (bei mehrfacher Pflichtverletzung bis zu ihrem vollständigen Wegfall, einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung) erfolgt zwingend, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis gegen eine der in § 31 Abs. 1, S. 1, Abs. 2 SGB II genannten Pflichten verstoßen und für ihr Verhalten keinen wichtigen Grund darlegen und nachweisen können (§ 31 Abs. 1 S. 2 SGB II). Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, statuiert § 31a Abs. 2 S. 1 u. 2 SGB II eine härtere Sanktionierung. Eine Härteregelung für Ausnahmefälle sieht das Gesetz nicht vor. Die nach ihrer Art und Zahl gestaffelten Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung (Minderung um 30 % bzw. 60 % oder Wegfall der SGB II-Leistungen) ergeben sich hinsichtlich der Höhe aus § 31a SGB II, wegen Beginn und Dauer aus § 31b SGB II. Die Dauer der Minderung beträgt nach § 31b Abs. 1 S. 3 SGB II zwingend drei Monate, lediglich bei unter 25-Jährigen kann unter den Voraussetzungen von Abs. 1 S. 4 der Vorschrift die Minderung auf sechs Wochen verkürzt werden. Für den Fall einer Minderung um mehr als 30 % sind in § 31a Abs. 3 SGB II gewisse Sicherungsmechanismen vorgesehen (ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen und Direktüberweisung der Leistungen für Unterkunft und Heizung an die Vermieter).

Für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft (s. § 7 Abs. 3 SGB II) leben und Sozialgeld beziehen (vgl. §§ 19 Abs. 1 S. 2 und 23 SGB II), gilt § 31a Abs. 1 u. 3 SGB II entsprechend, wenn Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGB II vorliegen (§ 31a Abs. 4 SGB II).

Eine Sanktion bei Meldeversäumnissen ordnet § 32 SGB II an, wobei die Vorschrift sich auch an nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte richtet. Die Umsetzung der Sanktionen (Beginn und Dauer der Minderung) erfolgt in entsprechender Anwendung des § 31b SGB II.

2. Sanktionen in der Praxis

Im Verlauf des Jahres 2018 (2017) wurden insgesamt 904.000 (953.000) Sanktionen gegenüber erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ohne Sozialgeldempfänger) ausgesprochen. Die meisten Sanktionen entfielen auf Meldeversäumnisse (rd. 77 %; s. auch zum Folgenden: Bundesagentur für Arbeit, Sanktionen [Zeitreihe Monats- und Jahreszahlen ab 2007], Stand April 2019).

Bei den genannten Zahlen sind auch mehrere gegenüber einer Person im maßgeblichen Zeitraum ausgesprochene Sanktionen berücksichtigt. Im Vergleich zum Vorjahr sank somit die Zahl der Sanktionen um 49.000. Die bisher höchste Anzahl an Sanktionen wurde mit 1,02 Mio. im Jahr 2012 festgestellt.

Die Sanktionsquote drückt den Anteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einem Berichtsmonat mit mindestens einer Sanktion an allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus. Im Dezember 2018 lag die Sanktionsquote bei 3,2 %. Die Quote ist monatlich verfügbar und erlaubt die Beobachtung von unterjährigen Entwicklungen.

Die jährliche Sanktionsverlaufsquote drückt dagegen den Anteil der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus, die in mindestens einem Berichtsmonat des Jahres SGB II-Leistungen bezogen haben und innerhalb dieses Jahres mindestens eine Sanktion hatten. Im Jahr 2018 waren das 8,5 % der Personen, die in mindestens einem Monat Leistungen erhalten haben.

3. Kritik

Vor dem Hintergrund der Grundrechte auf ein menschenwürdi...

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