1. Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei Telefax-Übermittlung

Der Beschluss des BGH v. 28.4.2020 – X ZR 60/19 (NJW 2020, 2194, s. hierzu unter Haftungsaspekten Staiger, Mitternachtsfax in Zeiten des beA, AnwBl 2020, 486), befasst sich mit anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei Telefax-Übermittlung im Hinblick auf das Vorhaben, wegen eines unmittelbar bevorstehenden Fristablaufs kurz vor Mitternacht noch einen Schriftsatz zu versenden.

Der Versender hat mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits erforderliche zur Fristwahrung getan (zu den Voraussetzungen, unter denen der Nachweis des Zugangs eines im Sendeprotokoll mit "OK-Vermerk" versehenen Telefaxes erbracht werden kann, s. BGH v. 19.2.2014 – IV ZR 163/13, NJW-RR 2014, 683), wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit einem Abschluss vor 0:00 Uhr zu rechnen gewesen ist. Das soll – so der BGH – unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung – i.d.R. der Fall sein, wenn eine Übermittlungszeit von 30 Sekunden pro Seite angesetzt wird und sich der so errechnete Wert im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen Belegung des Empfangsgeräts sowie schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten um einen Sicherheitszuschlag von ca. 20 Minuten erhöht wird.

 

Beispiel:

Ist ein 20-seitiger Schriftsatz am letzten Tag der Klagefrist mittels Telefax einzureichen, muss der Versand bis spätestens 23:30 Uhr begonnen sein (24 Uhr abzgl. 20 Minuten Sicherheitsabschlag, abzüglich 20 × 30 Sekunden für 20 Seiten).

Kommt es trotz Einhaltung dieser Pflichten zu einer Fristversäumung, kann grds. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO – s. auch in anderen Verfahrensordnungen: § 67 SGG, § 60 VwGO, § 56 FGO – gewährt werden. Weitere Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung referiert Rohwetter, NJW 2020, 2010. Zur Wiedereinsetzung von Amts wegen s. nachfolgend (Ziff. 2.) besprochene Entscheidung des BAG v. 5.6.2020.

 

Hinweis:

Die Entscheidung ist ergangen in dem Fall eines Patentanwalts, für den nach § 31a BRAO das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nicht zur Verfügung steht. Wichtiger als die Ausführungen zum konkreten Fall sind aus Anwaltssicht die – allerdings nicht entscheidungserheblichen – Bemerkungen des Gerichts zum beA: Der BGH lässt zwar offen, ob Rechtsanwälte, die sich für den Versand per Telefax entschieden haben, bei technischen Problemen kurz vor Fristablauf einen Übermittlungsversuch über das beA unternehmen müssen (so aber OLG Dresden v. 29.7.2019 – 4 U 879/19, MDR 2020, 306; a.A. LG Mannheim v. 17.1.2020 – 1 S 71/19, NJW 2020, 940 mit Anm. Siegmund, NJW 2020, 941). Die relativ hohe Zahl an Störungsmeldungen, die bisher für dieses System veröffentlicht wurden, begründet aber, so der BGH, Zweifel daran, ob das beA in seiner derzeitigen Form eine höhere Gewähr für eine erfolgreiche Übermittlung kurz vor Fristablauf bietet, als ein Telefaxdienst. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf seine st. Rspr., wonach Gerichte die Anforderungen an Prozessbevollmächtigte i.R.d. diesen nach § 233 S. 1 ZPO obliegenden Sorgfalt nicht überspannen dürfen (s. auch BGH 27.6.2017 – II ZB 22/16, Rn 13 ff.).

Für die Entscheidung des Streitfalls bedarf diese Frage jedoch keiner abschließenden Beantwortung. Der BGH hält Patentanwälte jedenfalls nicht dazu verpflichtet, in der geschilderten Situation einen Rechtsanwalt zu bitten, den Versand für ihn vorzunehmen oder ihm eine Sendeberechtigung für sein Postfach einzuräumen.

 

Hinweis:

Bei der Verwendung des Telefax ist stets zu bedenken, ob dieses dem Erfordernis der Schriftform in § 126 Abs. 1 BGB genügt. Da es auf den Zugang der formgerecht (Unterschrift) errichteten Erklärung ankommt, ist der Einsatz des Telefax nicht generell ausreichend:

  • Im Prozessrecht können bestimmende Schriftsätze wirksam und fristwahrend durch Telefax, auch durch Computerfax mit eingescannter Unterschrift der Prozessbevollmächtigten, übermittelt werden (vgl. GemS-OBG 1/98 v. 5.4.2000, NJW 2000, 2340 mit Anm Düwell, a.a.O., 3334). Gleiches – Fristwahrung durch Telefax – gilt etwa für den Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs.
  • Ist ansonsten Schriftform normativ vorgeschrieben oder rechtsgeschäftlich vereinbart, ist jeweils zu unterscheiden, ob diese konstitutive oder nur deklaratorische Bedeutung haben soll. Nur im zuerst genannten Fall kann die Nichtbeachtung der Schriftform Nichtigkeit nach § 125 BGB bewirken. Bei nur vereinbarter Schriftform greifen die in § 127 BGB vorgesehenen Erleichterungen ein. Bei konstitutiven Schriftformvorschriften ist weiter zu prüfen, ob die Beachtung des Erfordernisses der eigenhändigen Unterschrift durch § 126 Abs. 1 BGB erforderlich ist (vgl. hierzu näher Linck in Arbeitsrechtshandbuch, 18. Aufl., § 32 Rn 48 m.w.N.).
  • Die Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB ist regelmäßig als verbindlich gemeint, wenn der Gesetzgeber den Begriff "schriftlich" in Zusammenhang mit einer Willenserklärung verwendet, sodass diese Form Wirksamkeitsvoraussetzung ist b...

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