Zusammenfassung

Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ZAP EN-Nr. 461/2018

Bearbeiter: Rechtsanwalt Matthias Pruns, Bonn

I. Sachverhalt

Die Tochter der Klägerin starb unter nicht näher aufgeklärten Umständen am Abend des 3.12.2012, als sie in einem U-Bahn-Bahnhof von einem einfahrenden Zug erfasst wurde. Der Fahrer der U-Bahn verlangte Schadensersatz von der Klägerin und ihrem Ehemann. Beide hatten ihre Tochter in Erbengemeinschaft beerbt. Die Erblasserin hatte im Jahr davor mit der Erlaubnis ihrer Eltern ein Benutzerkonto bei dem sozialen Netzwerk Facebook eingerichtet. Die Klägerin versuchte nun nach dem Tod ihrer Tochter, sich mit den ihr bekannten Zugangsdaten in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Sie erhoffte sich so Aufschluss darüber, ob die Erblasserin kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt hatte. Das Benutzerkonto war von Facebook allerdings bereits am 9.12.2012 in den sog. Gedenkzustand versetzt worden. Im Gedenkzustand ist das Konto eines Nutzers zwar noch online und die geteilten Inhalte sind weiterhin einsehbar. Allerdings kann man sich auch mit Eingabe der zutreffenden Zugangsdaten nicht mehr in das Benutzerkonto einloggen. Die Klägerin verlangte von der Facebook Ireland Ltd., die nach den Nutzungsbedingungen von Facebook Vertragspartnerin aller Nutzer mit Wohnsitz außerhalb der USA ist (im Weiteren nur „Facebook“ genannt), ihr Zugang zu dem Benutzerkonto und zu den dort vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Facebook verweigerte den Zugang, insbesondere unter Hinweis auf die Pflicht zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses der Kommunikationspartner der Erblasserin vor dem unberechtigten Zugriff Dritter. Das in erster Instanz zuständige LG Berlin gab der Klägerin Recht. Sie sei zusammen mit ihrem Ehemann Rechtsnachfolgerin der Erblasserin geworden und beide seien damit auch in den Nutzungsvertrag mit Facebook eingetreten. Das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationspartner, insbesondere in Form der Regelung des § 88 Abs. 3 S. 1 TKG, stehe der Zugangsgewährung nicht entgegen (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15). Das KG als Berufungsinstanz sah das anders. Die Frage der Rechtsnachfolge könne letztlich offen bleiben. Die Erfüllung eines ggf. auf die Erben übergegangenen Zugangsanspruchs sei jedenfalls rechtlich unmöglich, weil ihr der Schutz des Fernmeldegeheimnisses der Kommunikationspartner der Erblasserin durch § 88 Abs. 3 S. 1 TKG entgegenstehe (KG, Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16).

II. Wesentlicher Inhalt

Der BGH hat die Entscheidung des KG aufgehoben und die Ausgangsentscheidung des LG Berlin wiederhergestellt. Die wesentlichen Gesichtspunkte der Entscheidung werden im amtlichen Leitsatz des Urteils angesprochen (vgl. zum Ganzen insb. Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass in der Vorsorge- und Erbrechtspraxis, 2018): Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über (s. unter 1.). Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers (s. dazu 2. a) noch das Fernmeldegeheimnis (s. 2. b) oder das Datenschutzrecht (s. 2. c) entgegen.

Rechtsnachfolge

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 1922 Abs. 1 BGB, wonach das Vermögen einer Person mit ihrem Tod „als Ganzes“ auf die Erben übergeht. Der BGH referiert noch einmal, dass zu dem Vermögen des Erblassers auch alle seine schuldrechtlichen Beziehungen und alle durch diese begründeten Rechte und Pflichten gehören. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Nutzungsvertrags mit einem sozialen Netzwerk (vgl. dazu etwa Redeker, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht, Stand Februar 2018, Teil 12 Rn 424) gehört, so der BGH, deshalb grundsätzlich auch dieser Nutzungsvertrag zum Nachlass und die Erben treten in alle Rechte und Pflichten des Nutzungsvertrags ein.

Vereinbarung über den Ausschluss der Rechtsnachfolge durch AGB?

Allerdings können die Parteien eines Vertrags auch vereinbaren, dass dieser mit dem Erbfall beendet werden soll oder dass die vertraglichen Pflichten sich mit dem Tod eines Vertragspartners ändern. Eine individualvertragliche Vereinbarung über den Ausschluss der Vererblichkeit kommt bei dem Vertragsschluss über die Nutzung eines sozialen Netzwerks allerdings regelmäßig nicht in Betracht. In den Nutzungsbedingungen (AGB) der Anbieter internetbasierter Dienste finden sich aber häufig Regelungen, die den Nutzern ganz allgemein die Weitergabe von Zugangsdaten an Dritte verbieten oder sogar spezielle Reglungen für den Tod des Nutzers treffen (vgl. dazu im Einzelnen Herzog/Pruns, a.a.O., § 5 Rn 1 ff.). In dem vom BGH entsc...

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