Das BAG trifft eine wichtige Entscheidung und wiederholt Fragen der Anhörung des Betroffenen und der sachdienlichen Ermittlungen, welche den Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB aufzuschieben vermögen.

Das BAG hatte folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Die Klägerin war als Geschäftsführerin bei dem beklagten Verein (Landesverkehrswacht Sachsen) beschäftigt. Dieser bildet den Dachverband für seine örtlichen Mitgliedsverbände. Nach Differenzen mit dem sog. Präsidenten des Vereins rief die Klägerin die Vereinsmitglieder dazu auf, die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit dem Ziel der Abwahl der Vereinsspitze zu fordern. Der als Präsidium bezeichnete Vorstand des Vereins beschloss daraufhin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Klägerin. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie wendet u.a. ein, der Präsidiumsbeschluss sei unwirksam, weil das Präsidium wegen des vorherigen Rücktritts eines Mitglieds nicht vollständig besetzt gewesen sei.

Das LAG hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Das BAG (Urt. v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15) hat unter Fortsetzung seiner Rechtsprechung entschieden: Betreibt die Geschäftsführerin eines Vereins auf intrigante Weise zielgerichtet die Abwahl des Vereinsvorsitzenden, kann dies die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Durch ein solch illoyales Verhalten wird die für eine weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensbasis zer- und der Betriebsfriede erheblich gestört.

Der Kündigung liegt zwar ungeachtet des vorherigen Rücktritts eines Vizepräsidenten ein nach der Vereinssatzung wirksamer Beschluss des Präsidiums zugrunde, weil die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit nach § 11 Abs. 3 S. 2 der Satzung erfüllt waren und dies in der Satzung rechtswirksam vorgesehen sein kann. Die demokratische Legitimation der verbleibenden Vorstandsmitglieder wird durch eine Vakanz nicht beseitigt.

Wegen des illoyalen Verhaltens der Klägerin liegt auch ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses vor. Der Senat konnte aber nicht abschließend beurteilen, ob die fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den maßgebenden Tatsachen erklärt wurde. Das LAG wird zu prüfen haben, ob entsprechend dem Vortrag des Beklagten eine Anhörung der Klägerin den Fristbeginn gehemmt hat. Dies würde voraussetzen, dass der Klägerin bezogen auf den kündigungsrelevanten Sachverhalt Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Ob dies der Fall war, ist zwischen den Parteien streitig geblieben.

 

Hinweise:

1. Der entschiedene Fall ist ein Unterfall der Störung des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs. Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber bspw. unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. zu ehrverletzenden Äußerungen BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08, Rn 17).
2.

Auf der ersten Stufe der Prüfung kann abhängig von den Umständen des Falls ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen. Das setzt voraus, dass:

(1) ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten vorliegt (vgl. BAG 13.4.2000 – 2 AZR 259/99, zu II. 4. der Gründe, BAGE 94, 228).
(2)

und ist jedenfalls dann gegeben, wenn das Verhalten eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens bewirkt hat (vgl. hierzu BAG v. 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, BAGE 58, 37; ErfK/Müller-Glöge/Niemann, 17. Aufl., § 626 BGB Rn 155; KR/Fischermeier, 11. Aufl., § 626 BGB Rn 432, 124; Stahlhacke/Preis, 11. Aufl., Rn 652).

Konkret hat die Klägerin (1) die zwischen ihr und Teilen des Präsidiums bestehenden Differenzen gegenüber Vereinsmitgliedern offenbart und (2) die Mitglieder instrumentalisiert, um den Rücktritt des Präsidenten bzw. die Abwahl des Präsidiums durchzusetzen. Dies belegen die an ihren Rechtsanwalt gerichteten E-Mails vom 12. und 22.8.2013, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin schon damals den Rücktritt oder die Abwahl insb. des Präsidenten anstrebte.

(3) Eine Abmahnung war konkret gem. § 314 Abs. 2 S. 3 BGB entbehrlich. Die Pflichtverletzung war – nach dem BAG – so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, Rn 24; v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, Rn 22, BAGE 150, 109).
(4) Kenntnis nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB liegt vor, sobald der Kündigende eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG v. 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, Rn 51; v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, Rn ...

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