Zusammenfassung

Das Leben ist bunt. Diese allgemeine Lebenserfahrung gilt auch für die verhaltensbedingte Kündigung. Mit Blick auf die Vielgestaltigkeit möglicher rechtfertigender Gründe und die ausgeprägte, umfangreiche Kasuistik der Rechtsprechung bedarf es klarer Strukturen und einer Orientierung an den aktuellen Entscheidungen der Arbeitsgerichte, um – auch bei neuen Fallgruppen – zu rechtssicheren Ergebnissen in der anwaltlichen Beratungspraxis zu gelangen.

I. Kündigungsgründe

Eine Kündigung ist gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die u.a. im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Verhalten ist jedes vom Willen des Arbeitnehmers gesteuerte Handeln. Dieses Handeln ist kündigungsrelevant, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichten verletzt (Schulte Westenberg, NZA-RR 2020, 561). Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i.d.R. schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703; BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, NZA 2016, 540). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, a.a.O.; BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, a.a.O.). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 647; BAG, Urt. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, a.a.O.).

Stützt ein Arbeitgeber seine Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer auf verhaltensbedingte Gründe kommen insb. Fallgestaltungen in Betracht, die sich an der gängigen Differenzierung „Pflichtverstöße im Leistungsbereich, Verstöße gegen die betriebliche Ordnung, Störungen im Vertrauensbereich und Verletzung von Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag” orientieren (vgl. Aufterbeck, JuS 2017, 15, 18):

  • willentliche, vorwerfbare Leistungsmängel und Pflichtverstöße im Leistungsbereich, Beispiele: Schlechtleistung, Arbeitsverweigerung (Kommt ein Arbeitnehmer an drei von vier aufeinander folgenden Arbeitstagen erheblich zu spät oder gar nicht zur Arbeit, kann dies je nach den Umständen des Einzelfalls den Rückschluss auf ein hartnäckiges und uneinsichtiges Fehlverhalten zulassen, sodass er vor Ausspruch einer Kündigung keiner ausdrücklichen Abmahnung mehr bedarf – LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 31.8.2021 – 1 Sa 70 öD/21), Arbeitsbummelei, Krankfeiern ggf. verbunden mit einer Drohung ggü. dem Arbeitgeber (vgl. LAG Nürnberg, Urt. v. 27.7.2021 – 7 Sa 359/20; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.5.2021 – 6 Sa 359/20), unerlaubtes Internetsurfen bzw. E-Mail- oder Telefon-Nutzung für unerlaubte private Zwecke,
  • Verstöße gegen die betriebliche Ordnung und den Betriebsfrieden,
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch, Verstöße gegen ein Alkohol- oder Drogenverbot, wobei eine Abgrenzung zum krankhaften Alkohol- oder Drogenmissbrauch und damit einer personenbedingten Kündigung vorzunehmen ist (vgl. Sasse, NZA-RR 2019, 513),
  • Störungen im Vertrauensbereich (vgl. Rasche, ArbRAktuell 2019, 109; Hunold, NZA-RR 2003, 57),
  • Strafbares Verhalten des Arbeitnehmers (Müller, öAT 2018, 95; Klinkhammer, ArbRAktuell 2017, 320, Beispiele: Arbeitszeit- und Spesenbetrug, Beleidigungen und Schmähkritik [BAG, Urt. v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19], Bedrohungen und Nötigungen, sexuelle Belästigung, Untreue, Unterschlagung, Diebstahl),
  • Verletzungen von Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag (wiederholte Verletzung der Anzeige- und Nachweisflicht bei Arbeitsunfähigkeit – vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24.8.2020 – 3 Sa 87/20, juris, unerlaubte Konkurrenztätigkeit während bestehendem Arbeitsverhältnis [§ 60 HGB], Verstoß gegen ein Nebentätigkeitsverbot),
  • im Ausnahmefall, wenn es zu einer konkreten Beeinträchtigung oder konkreten Gefährdung der Interessen des Arbeitgebers (etwa Rufschädigung) und einer Störung im Vertrauensbereich oder einer Störung des Betriebsfriedens kommt, außerdienstliches – bzw. außerbetriebliches...

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