Mitte Dezember hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Rechtsfragen der Vergütung von Leiharbeit angerufen (BAG, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 [A]). Die Kasseler Richter möchten von ihren europäischen Kollegen geklärt haben, ob durch Tarifvertrag vom Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern abgewichen werden kann.

Folgender Fall liegt den Richtern des BAG zur Entscheidung vor: Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie war einem Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt sie zuletzt einen Stundenlohn von 9,23 EUR brutto. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.), dessen Mitglied die Beklagte ist, hat mit mehreren Gewerkschaften des DGB – darunter ver.di – Mantel-, Entgeltrahmen- und Entgelttarifverträge geschlossen, die eine Abweichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsehen, insb. auch eine geringere Vergütung als diejenige, die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb erhalten.

Die Klägerin meint, diese Tarifverträge seien mit Unionsrecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG) nicht vereinbar. Mit ihrer Klage hat sie für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des "Equal Pay" verlangt und vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer bei der Entleiherin würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 EUR brutto erhalten. Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit schulde sie nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung, Unionsrecht sei nicht verletzt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

Das BAG möchte zu den aufgeworfenen Rechtsfragen nun eine Vorabentscheidung aus Luxemburg einholen. Es führt zu Begründung aus, dass Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG zwar vorsieht, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestatte Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten ausdrücklich, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter "Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen" vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des "Gesamtschutzes" enthalte die Richtlinie nicht; auch seien sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine "Achtung" im Schrifttum umstritten.

Zur Klärung dieser im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG aufgeworfenen Fragen ersucht der Senat deshalb den EuGH um eine Vorabentscheidung und kommt mit dieser Vorlage zugleich seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV nach.

[Quelle: BAG]

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