Die Nichtbegründung von Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt eine seit langem bekannte und verfassungsrechtlich gebilligte Praxis dar (vgl. BVerfGE 50, 287, 290). Besonders bedeutsam wird das Problem bei der Nichtbegründung bzw. Pauschalbegründung der Zurückweisung von Nichtzulassungsbeschwerden (§ 544 Abs. 2 S. 2 ZPO) oder der Verwerfung der Revision im Strafprozess als (offensichtlich) unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dieses Prozedere der Nichtbegründung setzt sich in der Verfassungsbeschwerde fort (§ 93d Abs. 1 S. 2 BVerfGG). Als Rechtfertigung für dieses Verfahren wird regelmäßig die Arbeitsentlastung des Gerichts hervorgehoben.

Dem Bürger wird aber versichert, dass die Prüfung seines Rechtsbehelfs ebenso sorgfältig erfolgt, wie bei einer begründeten Entscheidung. An der materiellen Qualität der Entscheidung soll sich nichts ändern, denn auch bei der begründungslosen Zurückweisung liegt beim Bundesverfassungsgericht oder beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen intern ein begründetes Votum vor. "Jedes Mal wird die Sache sorgfältig geprüft und das Ergebnis der Prüfung in einem Votum festgehalten" (Lübbe-Wolff, Wie funktioniert das Bundesverfassungsgericht, 2014, S. 21 f.; ebenso Vosskuhle NJW 2013, 1329, 1335). Wenn dem aber so ist, dann könnte das Votum – jedenfalls in den Fällen, in denen dieses unveränderte Entscheidungshilfe geworden ist – zugänglich gemacht werden.

Obwohl die Nichtbegründung wenig zufriedenstellend ist und ich selbst die Begründung jeder gerichtlichen Entscheidung an anderer Stelle gefordert habe (vgl. Eschelbach/Geipel/Weiler StV 2010, 325 ff.), könnte die Nichtbegründung auch einen positiven Effekt haben. Vermutlich wird es nur wenige Begründungen geben, die den Beschwerdeführer überzeugen. Aus einer gegebenen Begründung könnten sich Argumente zur Widerlegung derselben ergeben, die faktisch – mit Ende des Instanzenzugs – nicht mehr vorgebracht werden können. Da aus dem Rechtsstaatsprinzip auch folgt, dass jeder Rechtsstreit einmal entschieden sein muss (vgl. BVerfGE 107, 395, 401 f.), dient die Nichtbegründung eher der Befriedung als eine nicht vollständig überzeugende Begründung. Ein Schweigen kann man eher akzeptieren als eine offene Fehlerhaftigkeit.

Nachdem der Beschwerdeführer bei der zivilprozessualen Nichtzulassungsbeschwerde bereits zweimal eine begründete Entscheidung erhalten hat (durch Erst- und Berufungsgericht), könnte man nicht begründete Beschlüsse des Bundesgerichtshofs akzeptieren, wenngleich sich der Gesetzgeber die Unterlassung einer Begründung nach § 544 Abs. 4 ZPO sicherlich als Ausnahme und nicht als Regel vorgestellt hat.

Anders ist dies bei der strafprozessualen Revision von Fällen, die beim Landgericht beginnen. Dort ist die sog. o.U.-Verwerfung, die sich vom gesetzgeberischen Ausnahmefall zum Normalfall entwickelt hat, nicht zu akzeptieren, da sie sich vom Wortlaut und der Intention des Gesetzes gelöst hat (vgl. aus neuerer Zeit die zutreffende Kritik von Rosenau ZIS 2012, 195 ff.). Wenn daher zur Rechtfertigung der bisherigen Praxis gefordert wird, das Gesetz zu ändern (Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 349 Rn 11 a.E. m.w.N.), ist das falsch. In anderem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht gerade betont, "dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht" (so BVerfG, Beschl. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a. Rn 119).

Wenn es richtig ist, was Richter des Bundesverfassungsgerichts berichten, nämlich, dass die weit überwiegende Anzahl der Verfassungsbeschwerden an den Zulässigkeitskriterien scheitert (so Voßkuhle NJW 2013, 1329, 1334) bzw. die Zulässigkeitskriterien nach dem Stolpersteinprinzip funktionieren (vgl. Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509 ff.), so liefert das ein Indiz für zu hohe Zulässigkeitsanforderungen. Wenn auch Zuck, einer der erfahrensten Kenner der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, mitteilt, dass den Begründungsaufwand für eine zulässige Verfassungsbeschwerde nur derjenige erbringen kann, der 135 Bände der Senatsrechtsprechung, die Kammerrechtsprechung und die Aufsätze des Berichterstatters kennt (vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl., § 90 Rn 214), so offenbart das erst recht zu strenge Zulässigkeitskriterien (auch wenn es manchmal erfolgreiche Verfassungsbeschwerden von Laien gibt). Wenn es überdies richtig ist, was Richter der Strafsenate des Bundesgerichtshofs vermuten, nämlich, dass es bundesweit nur 30–40 Kanzleien gibt, die "Revisionen können" (Wagner, Vorsicht Rechtsanwalt, S. 253), so offenbart diese Tatsache ebenfalls zu strenge Zulässigkeitskriterien. Die begründungslose Entscheidung dient damit dennoch dem Rechtsfrieden, wenn die begründete Unzulässigkeit zu einer Bloßstellung des Rechtsanwalts führen könnte, dessen Revision/Verfassungsbeschwerde bereits in der Zulässigkeitsstation gescheitert ist. In diesem Sinne verwerfen die Strafsenate Revisionen mittlerweile nur noch als "unbegründet", während sie früher als "offensichtlich unbegründet" verworfen wurden...

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