Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war vereinbart worden, das "allgemeine Strafverfahren und das Jugendstrafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher auszugestalten." Dazu war eine Expertenkommission einberufen worden, die bis zur Mitte dieser Wahlperiode Vorschläge erarbeiten sollte. Mitte Oktober war es nun soweit: Die Kommission, der Vertreter der Wissenschaft und der juristischen Praxis sowie Experten aus den Landesjustizverwaltungen, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz angehörten, überreichten Bundesjustizminister Heiko Maas in Berlin ihren Abschlussbericht.

Darin werden 50 Empfehlungen formuliert, die das Strafverfahren "effektiver und praxistauglicher" machen sollen. Sie lassen, sich – nach Verfahrensabschnitten gegliedert – kurz wie folgt umreißen:

Ermittlungsverfahren

  • Einräumung eines Anwesenheits- und Fragerechts des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten;
  • Schaffung eines Antragsrechts des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren;
  • Einführung einer Erscheinenspflicht von Zeugen bei polizeilicher Vernehmung, wenn der Ladung ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt;
  • Abschaffung des Richtervorbehalts für Blutprobenentnahmen im Bereich der Straßenverkehrsdelikte; Übergang der regelmäßigen Anordnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft;
  • regelmäßige audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage;
  • Schaffung einer speziellen gesetzlichen Grundlage für den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und von V-Personen sowie Neuausrichtung des Straftatenkatalogs bei der Telekommunikationsüberwachung (§ 100a Abs. 2 StPO) anhand übergeordneter Kriterien;
  • ausdrückliche gesetzliche Regelung des Verbots der Tatprovokation;
  • Erweiterung der Möglichkeit, zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen vor Anklageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg klären zu lassen.

Zwischenverfahren

  • Prüfempfehlung, wie die Filterfunktion des Zwischenverfahrens bei Land- und Oberlandesgerichten mit dem Ziel der Vermeidung oder Entlastung der Hauptverhandlung gestärkt werden kann.

Hauptverhandlung

  • Schaffung eines fakultativen gerichtlichen Erörterungstermins mit den Verfahrensbeteiligten zur Vorbereitung der Hauptverhandlung bei umfangreichen Strafverfahren;
  • Einführung der Möglichkeit einer Eröffnungserklärung der Verteidigung nach Verlesung der Anklageschrift;
  • Regelung einer gerichtlichen Hinweispflicht bei Änderung der für die rechtliche Bewertung erheblichen tatsächlichen Umstände oder bei beabsichtigtem Abweichen von einer von ihm offengelegten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Beweislage;
  • Einführung einer fakultativen audiovisuellen Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem Amtsgericht sowie Prüfung der Einführung einer obligatorischen audiovisuellen Dokumentation der gesamten erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor dem LG und OLG unter der Bedingung, dass mit deren Einführung keine Erweiterung der Revisionsmöglichkeiten verbunden ist;
  • Ermöglichung des Vorführens einer audiovisuell aufgezeichneten richterlichen Zeugenvernehmung bei erstmaliger Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung sowie einer richterlichen Beschuldigtenvernehmung zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis;
  • Einführung einer gerichtlichen Möglichkeit zur Fristsetzung für nach Schluss der Beweisaufnahme eingereichte Beweisanträge mit der Möglichkeit der Ablehnung bei nicht genügend entschuldigter Fristversäumnis;
  • Schaffung der Möglichkeit zur ausnahmsweisen Bildung von Nebenklägergruppen unter Beiordnung eines Gruppenrechtsbeistands bei Umfangsverfahren durch das Gericht.

Rechtsmittelverfahren

  • Einführung der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a Abs. 2 StPO auch im Revisionsverfahren;
  • keine Änderungen im Wiederaufnahmerecht;
  • keine Erweiterung der Möglichkeiten zur Entscheidung über eine Revision im Beschlussverfahren ohne Revisionshauptverhandlung.

Der Bundesjustizminister kündigte an, auf der Grundlage des Expertenberichts nun "zeitnah" einen Gesetzentwurf zur Reform der Strafprozessordnung auf den Weg zu bringen. Eine erste Bewertung der Expertenvorschläge aus Sicht der Anwaltschaft hat bereits der Deutsche Anwaltverein (DAV) vorgenommen. Er sieht insgesamt ein "durchwachsenes Bild". Erfreulich seien einige der Vorschläge zur Reform des Ermittlungsverfahrens. So werde etwa bei der audiovisuellen Dokumentation von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen einer seit Jahren von der Anwaltschaft erhobenen Forderung entsprochen. Auch das erweiterte Anwesenheits- und Fragerecht der Verteidigung sowie das ausdrückliche Verbot der Tatprovokation durch staatliche Ermittler seien zu begrüßen. Dagegen bedauert der DAV, dass sich die Kommission nicht für ...

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