I. Einleitung

Mit dem Wegfall des Zweigstellenverbots in § 28 BRAO a.F. (seit Inkrafttreten des "Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft" zum 1.6.2007, BGBl I, 358) sind "findige" Rechtsanwälte auf die Idee gekommen, Bürodienstleistungszentren in verschiedenen größeren Städten Deutschlands als Briefkastenanschriften anzumieten und sich dort eingehende Post an ihre Kanzlei nachschicken zu lassen. Dieser Beitrag ergründet, welche berufsrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Probleme sich bei virtuellen Büros stellen und gibt dazu einleitend eine Orientierung über die verschiedenen gesetzmäßigen Möglichkeiten der Kanzleistandortorganisation.

II. Begriffsbestimmungen

In seiner seit dem 18.5.2017 gültigen Fassung sieht § 27 BRAO folgende Kanzleiformen vor.

1. Die Kanzlei (Hauptniederlassung)

Die "Kanzlei" i.S.v. § 27 Abs. 1 BRAO ist der Mittelpunkt der anwaltlichen Berufsausübung. Der Begriff der Kanzlei ist im Gesetz nicht definiert. Berufsrechtlich gilt die "Kanzlei" als die berufliche Niederlassung eines Rechtsanwalts.

Das Gesetz benennt die berufliche Niederlassung eines Rechtsanwalts nicht als Hauptstelle, Hauptkanzlei oder Hauptniederlassung, sondern einfach nur als "Kanzlei". Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass der Gesetzgeber weiterhin von dem Regelfall ausgeht, dass ein Rechtsanwalt nur eine einzige Büroräumlichkeit hat.

Im gegenwärtigen allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch wird das Wort "Kanzlei" vornehmlich zur Beschreibung der räumlichen Einheit gebraucht, von der aus ein Rechtsanwalt seinen Beruf ausübt (vgl. z.B. § 27 Abs. 1 BRAO), der den Mittelpunkt seiner Tätigkeit bildet, wo man ihn also während der üblichen Bürokernzeiten grundsätzlich antreffen kann, wenn er nicht berufs- oder erholungsbedingt ortsabwesend ist (Anwaltsgerichtshof Dresden, Beschl. v. 4.11.2004 – AGH 18/03 (II), BRAK-Mitteilungen 2005, 31 ff.).

Der Rechtsanwalt unterhält dort eine Kanzlei, in der er für seine Mandanten, aber auch für Gerichte und Behörden erreichbar und ansprechbar ist (Feuerich/Weyland, § 27 Rn 2; Siegmund, in: Gaier/Wolf/Göcken, § 27 BRAO Rn 21 ff.; Kleine-Cosack, § 27 Rn 1). Er hat dort auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK) zu sein. Man spricht hier sinnvollerweise von einer Hauptstelle oder Hauptniederlassung, wenn es daneben noch Zweigstellen (Zweigniederlassungen) gibt.

Jeder Rechtsanwalt kann in seiner Person nur eine Hauptstelle für seine Kanzlei haben (Ausnahme ist die in § 27 Abs. 2 BRAO normierte "weitere Kanzlei", die aber eine Sonderform, nämlich eine andere Kanzlei, ist. Dazu näher unter II. 3). Eine Berufsausübungsgemeinschaft kann aber natürlich auch mehrere Hauptstellen unterhalten, wenn einzelne ihr angehörende Berufsträger jeweils in anderen Räumlichkeiten für ihre Mandanten, für Gerichte und Behörden, erreichbar und ansprechbar sind.

Bezeichnen mehrere, gleichgültig auf welcher rechtlichen Grundlage zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossene Rechtsanwälte mehrere Orte als "Kanzleistandorte", erwartet der Rechtsuchende an jedem dieser Orte eine organisatorisch selbstständige Betriebseinheit, die von mindestens einem Rechtsanwalt dergestalt geführt wird, dass – jedenfalls von außen betrachtet – dieser Ort der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit ist und der Rechtsanwalt dort zu angemessenen Zeiten präsent ist (KG, Beschl. v. 14.8.2018 – 5 U 134/17, BRAK-Mitteilungen 2019, 145 [rkr.; die NZB wurde abgelehnt, BGH Beschl. v. 14.3.2019 – I ZR 167/18, K&R 2019, 401 ff.]).

Das Gesetz unterscheidet in §§ 27 Abs. 2 BRAO, 5 BORA zwischen "Kanzlei" und "Zweigstelle", stellt aber seinerseits klar, dass der Rechtsanwalt an beiden Standorten die im Wesentlichen gleichen personellen und organisatorischen Voraussetzungen bereithalten muss. Sowohl Hauptniederlassung als auch Zweigniederlassung bilden zusammen eine Kanzlei im weiteren Sinne.

Der Begriff Kanzlei in § 27 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt verpflichtet ist, in dem Bezirk der RAK, in der er Mitglied ist, eine Kanzlei zu errichten und zu unterhalten, meint bei Vorliegen von Zweigniederlassungen die Hauptniederlassung.

2. Die Zweigstelle (Nebenniederlassung)

Denn die Zweigstelle (mitunter auch als "Zweigniederlassung" oder "Nebenniederlassung" bezeichnet) und die notwendigerweise vorhandene, aber vom Gesetz so nicht benannte Hauptstelle (bzw. Hauptniederlassung) werden jeweils als Niederlassungen der "Kanzlei im weiteren Sinne" angesehen, die sich danach unterscheiden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt nach entfaltet (BGH NJW 2010, 3787; BGH GRUR 2012, 1275 – Zweigstellenbriefbogen, Rn 56).

Die Zweigstelle ist ein weiterer Standort, der abhängig von der Hauptkanzlei geführt wird. Den für die Kanzlei nach §§ 27 BRAO, 5 BORA geltenden Anforderungen muss auch die Zweigstelle (§ 27 Abs. 2 BRAO) grundsätzlich genügen.

An die Zweigstelle werden genau die gleichen Anforderungen wie an eine Hauptniederlassung gestellt, mit dem Unterschied, dass der Rechtsanwalt dort nicht überwiegend während der üblichen Bürozeiten anzutreffen sein muss. Hauptniederlassungen als auch Zweigniederlassun...

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