Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX

Das BAG (Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, ZAT 2016, 100 m. Anm. 102) klärt eine äußerst praxiserhebliche Streitfrage des Sonderkündigungsschutzes schwerbehinderter Menschen: Nach § 85 SGB IX bedarf jede Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. § 91 SGB IX regelt in diesem Zusammenhang Besonderheiten bei einer außerordentlichen Kündigung. Die Zustimmung des Integrationsamtes ist nach § 91 Abs. 2 SGB IX binnen einer Frist von zwei Wochen zu beantragen. Dieses trifft dann die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrags an, § 91 Abs. 3 S. 1 SGB IX. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn innerhalb dieser Frist eine Entscheidung durch das Integrationsamt nicht getroffen wird. Diese Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX greift auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ein.

Im entschiedenen Fall war der schwerbehinderte Kläger nach den Vorschriften des öffentlichen Dienstes tariflich ordentlich unkündbar. Er wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahre und sechs Monaten verurteilt. Daraufhin beantragte der Arbeitgeber beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist. Nach Ablauf von zwei Wochen bestätigte das Integrationsamt, dass die Zustimmung gem. § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX als erteilt gelte. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber. Der Kläger hält die Kündigung u.a. wegen fehlerhafter Beteiligung des Integrationsamtes für unwirksam; die Zustimmungsfiktion sei bei der die ausgeschlossene ordentliche Kündigung funktionell ersetzenden außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist nicht anwendbar.

Das BAG bejaht – entgegen der Vorinstanzen – den wichtigen Kündigungsgrund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB an sich. Die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Auch die Personalratsanhörung sei in Ordnung. Die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX greift auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ein, wie sich bereits aus dem klaren Wortlaut ergebe. Eine teleologische Reduktion sei nicht angezeigt.

 

Hinweise:

  1. Das BAG stellt eine wichtige Streitfrage in der Literatur klar: Die Zustimmungsfiktion gilt auch bei der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
  2. Das wiederholt auch das Verhältnis von § 91 Abs. 5 SGB IX zu § 626 Abs. 2 S. 1 BGB klar: Erst wenn die Zwei-Wochenfrist abgelaufen ist, ist § 91Abs. 5 SGB IX einschlägig. Konkret lief die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB nicht ab, weil ein Dauertatbestand – Strafhaft – vorlag. § 91 Abs. 5 SGB IX war daher nicht zu prüfen.

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