Eine verhältnismäßig große Zahl von Entscheidungen hat sich in der letzten Zeit mit der Frage der Beleidigung und damit korrespondierend mit den Fragen der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und zulässiger/unzulässiger Schmähkritik befasst. Hinzuweisen ist dazu auf:

  • BVerfG (Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15): Die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) wird durch eine falsche strafgerichtliche Einordnung einer Äußerung als Tatsache anstatt als Werturteil – hier: Strafurteil wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) bei Bezeichnung eines Polizeibeamten als "Spanner" – verletzt (BVerfG StV 2017, 182 = StRR 10/2016, 15 = ZAP EN-Nr. 617/2016).
  • BVerfG (Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15): Die Bezeichnung einer Staatsanwältin durch einen Rechtsanwalt in einem Gespräch mit einem Journalisten als "dahergelaufene Staatsanwältin, durchgeknallte Staatsanwältin, widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin" und "geisteskranke Staatsanwältin" ist zwar eine ausfallend scharfe und die Ehre beeinträchtigende Äußerung. Es handelt sich aber deshalb nicht von vornherein um "Schmähkritik", sondern es hätte näherer Darlegungen des LG bedurft, dass sich die Äußerungen vom Verfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren (BVerfG NJW 2016, 2870 = StRR 11/2016, 15).
  • BVerfG (Beschl. v. 13.6.2017 – 1 BvR 2832/15): Eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung darf nicht allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen behandelt werden, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266, 302 f.) Es reicht aber für eine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB – durch Verwendung einer Stofftasche mit dem Aufdruck "A.C.A.B." – gegenüber im Rahmen einer Demonstration eingesetzten Polizisten aus, wenn sich der Äußernde bewusst in die Nähe der in Bezug genommenen Personengruppe begeben und sich auf sie – vorliegend "ostentativ" und "nachgerade paradierend" – individualisiert bezogen hat.
  • OLG München (Beschl. v. 31.5.2017 – 5 OLG 13 Ss 81/17): Die schriftliche Äußerung eines seine Tochter vertretenden Rechtsanwalts gegenüber einem OLG-Senat, dieser begehe Unrecht, das "noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger" sei als das Unrecht, "das ein Roland Freisler begangen hat", ist gem. § 193 StGB gerechtfertigt (OLG München AnwBl 2017, 783).
  • OLG Rostock (Beschl. v. 9.9.2016 – 20 RR 66/15 – 1 Ss 46/16): Die Meinungs- und Pressefreiheit genießt bei der kritisch kommentierenden Berichterstattung über tatsächliche Geschehnisse in der Öffentlichkeit Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen, solange die Grenze zur Formalbeleidigung und zur Schmähkritik nicht überschritten wird. In der bloßen Wiedergabe als solcher gekennzeichneter, herabsetzender Werturteile Dritter in einem Zeitungsbericht liegt keine persönliche Identifizierung des Verfassers mit dieser Begriffsverwendung (für den Begriff Rabaukenjäger: OLG Rostock NJ 2016, 431 = StRR 1/2017, 19).

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