Der Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts ist vom Gesetzgeber dual ausgestaltet worden (vgl. Sternel, Vortrag auf dem Deutschen Mietgerichtstag 2017, www.mietgerichtstag.de ). Zunächst muss der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses haben. Auf dieser Ebene werden die Interessen des Mieters noch nicht berücksichtigt. Das "zweite Standbein" des dualen Kündigungsschutzes ist der Fortsetzungsanspruch des Mieters gem. §§ 574 ff. BGB. Hier geht es um die Mieterinteressen. Dieser Anspruch spielte in der Vergangenheit in der gerichtlichen Praxis kaum eine Rolle.

Gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Der BGH (GE 2017, 469 = DWW 2017, 134 = NJW 2017, 1474 = NZM 2017, 286 = WuM 2017, 285 = MDR 2017, 635 = ZMR 2017, 382 = MietPrax-AK § 574 BGB Nr. 2 m. Anm. Börstinghaus; Singbartl/Henke NZM 2017, 289; Börstinghaus jurisPR-BGHZivilR 9/2017 Anm. 2; Sandidge/Wichert MietRB 2017, 153; Beyer jurisPR-MietR 12/2017 Anm. 2) verlangt von den Tatsachengerichten zu diesen Voraussetzungen eine gründliche und sorgfältige Sachverhaltsfeststellung und anschließend eine Gewichtung und Würdigung der beiderseitigen Interessen. Die Härte muss aber stärker sein als die mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten. Behauptet der Mieter gesundheitliche Auswirkungen eines Umzugs, müsse das Tatsachengericht regelmäßig ein Gutachten einholen. Auf der anderen Seite müssten die Tatsachengerichte auch berücksichtigen, wie groß und dringlich das Vermieterinteresse an der Eigenbedarfskündigung letztendlich ist. Da es im vorliegenden Fall wohl eher um eine Erhöhung des "Wohnkomforts" gegangen sei als um eine Beseitigung völlig unzureichender beengter Wohnverhältnisse, sei das Vermieterinteresse, obwohl es generell eine Kündigung rechtfertige, bei der Abwägung der Interessen nicht so stark zu berücksichtigen. Auch das Vorhandensein von Alternativwohnraum könne bei der Abwägung der Interessen auf Vermieterseite zu berücksichtigen sein.

 

Hinweise:

Nach Ansicht des BGH ist es nicht erforderlich, dass der Mieter sein Fortsetzungsverlangen mittels Widerklage geltend macht. Die Tatsachengerichte haben im Rahmen des § 308a ZPO einen sehr weiten Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Inhalts des Mietvertrags im Zusammenhang mit der Anordnung der Fortsetzung. In Betracht käme z.B. eine moderate Mieterhöhung oder die Zahlung einer angemessenen Kostenbeteiligung an der Umgestaltung von alternativen Räumen für die Befriedigung der Wohnbedürfnisse des Vermieters.

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