Wenn ein Richter während der Hauptverhandlung krank wird, dann muss – je nach Länge der Erkrankung – die Hauptverhandlung ggf. ausgesetzt werden, es sei denn das Gericht hat einen Ergänzungsrichter (§ 192 Abs. 2 GVG) zugezogen, der für den erkrankten Kollegen einspringen kann. Zu der Frage, wann dieser einspringen darf, hat sich jetzt der 3. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss vom 8.3.2016 (3 StR 544/15) geäußert. Nach dem Sachverhalt hatte die Hauptverhandlung vor dem LG unter Zuziehung eines Ergänzungsrichters begonnen. Zu Beginn des 15. Verhandlungstages am 30.6.2015 teilte der Vorsitzende mit, dass eine beisitzende Richterin an der weiteren Mitwirkung in der Hauptverhandlung verhindert sei, weil ihr wegen einer Komplikation bei ihrer Schwangerschaft aus medizinischen Gründen zunächst für die Dauer von zwei Wochen ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden und ungewiss sei, ob sie danach wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werde; deshalb sei der Ergänzungsrichter eingetreten. Die Angeklagten rügten daraufhin die vorschriftswidrige Besetzung der Kammer und beantragten, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, um sie später ggf. unter Mitwirkung der beisitzenden Richterin fortzusetzen. Das lehnte der Vorsitzende ab. Die Hauptverhandlung wurde bis zur Urteilsverkündung in der geänderten Besetzung fortgeführt.

Der BGH (a.a.O.) hat das Urteil des LG wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 1 StPO aufgehoben. Danach kommt, wenn ein zur Urteilsfindung berufener Richter wegen Krankheit nicht zu einer Hauptverhandlung erscheinen kann, die bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat (§ 229 Abs. 3 S. 1 StPO), der Eintritt eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann. Das begründet der BGH u.a. mit der Änderung des § 229 Abs. 3 S. 1 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl I, S. 2198). Nach der Neufassung der Vorschrift sei der Lauf der in § 229 Abs. 1, 2 StPO genannten Unterbrechungsfristen auch dann kraft Gesetzes für bis zu sechs Wochen gehemmt, wenn eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Erkrankung zu einer Hauptverhandlung nicht erscheinen kann, die zuvor bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat; die Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Damit werde – so der BGH – nicht nur gewährleistet, dass in Großverfahren die Aussetzung der Hauptverhandlung in weiterem Umfang vermieden werden kann, als dies nach der früheren Rechtslage der Fall war (vgl. BT-Drucks 15/1508 S. 13, 25). Vielmehr werde auch das Prinzip des gesetzlichen Richters gestärkt, da die Urteilsfindung weiterhin den Richtern obliegt, die nach den geschäftsplanmäßigen Regelungen ursprünglich dazu berufen waren. Dies sei aber auch dann zu beachten, wenn ein Ergänzungsrichter zugezogen worden ist, der unmittelbar für den erkrankten Richter in das Quorum eintreten könnte. Daraus folgt für den BGH: Im Hinblick auf das Prinzip des gesetzlichen Richters sei es geboten, die Feststellung des Verhinderungsfalls zurückzustellen und abzuwarten, ob die Hauptverhandlung noch unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden könne. Solange die Fristen gehemmt seien, sei für eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden deshalb kein Raum, und der Eintritt des Ergänzungsrichters komme erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann (so auch LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 229 Rn 21; KK-Gmel, a.a.O., § 229 Rn 11; vgl. auch SSW-StPO/Grube, 2. Aufl., § 229 Rn 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 192 GVG Rn 7).

 

Hinweis:

Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn schon von vornherein feststeht, dass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung mit dem erkrankten Richter auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht möglich sein wird, oder wenn andere vorrangige Prozessmaximen beeinträchtigt würden. Dies kann nach Auffassung des BGH (a.a.O.) etwa der Fall sein, wenn durch den durch die Fristenhemmung bedingten Zeitablauf ein Beweismittelverlust droht und daher durch weiteres Abwarten die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) verletzt würde. Der Verteidiger muss in solchen Fällen, ggf. die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts rügen und beantragen, die Hauptverhandlung zu unterbrechen. Die Einwände sind dann in der Revision mit der Verfahrensrüge geltend zu machen.

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