Zuletzt wurde in ZAP F. 22 R, S. 862 ff. über aktuelle Rechtsprechung zu Haftfragen berichtet. An die Zusammenstellung schließt die nachfolgende Rechtsprechungsübersicht an (vgl. i.Ü. eingehend zu den mit den Untersuchungshaftfragen zusammenhängenden Problemen Burhoff, EV, Rn 2170 ff., 3695 ff.).

  • Akteneinsicht, Aufhebung des Haftbefehls: Der Grundsatz eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens und der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör gebieten es, dem Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten Einsicht zumindest in die Aktenbestandteile zu geben, auf welche der Haftbefehl gestützt ist. Allein deshalb weil nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft die Akten verspätet von einer anderen Akteneinsicht zur Staatsanwaltschaft zurückgelangt sind, kann dem Verteidiger die Akteneinsicht nicht versagt werden. Es ist dann erforderlich, auf eine frühere Aktenrücksendung hinzuwirken bzw. Doppelakten zu führen, welche dem Verteidiger zur Verfügung gestellt werden können (AG Magdeburg StV 2016, 448).
  • Außervollzugsetzung des Haftbefehls, Widerruf, Voraussetzungen: Der Vollzug eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls kann nicht angeordnet werden, wenn annähernd sechs Monate Untersuchungshaft bereits vollzogen sind und die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots infolge etwa sechsmonatige Untätigkeit der Staatsanwaltschaft nicht vorliegen (OLG Karlsruhe StV 2015, 652 = StRR 2015, 163 [Ls.]). Ein Beschuldigter, der in den Hungerstreik tritt und eigenmächtig seine Medikamente absetzt, begründet durch dieses Verhalten die konkrete Gefahr der Herbeiführung der eigenen Verhandlungsunfähigkeit und verstärkt den Haftgrund der Fluchtgefahr (wieder) derart, dass es des Vollzugs der U-Haft (wieder) bedarf (OLG Hamm StRR 2015, 277 = NStZ-RR 2015, 283 [Ls.]). Es ist i.Ü. auch bei einer Außervollzugsetzung eines Haftbefehls das verfassungsrechtlich verbürgte Recht eines jeden Angeklagten, die eigentliche Haftgrundlage durch Erhebung einer Haftbeschwerde in Frage zu stellen, weshalb die bloße Wahrnehmung dieses Rechts nicht zu seinem Nachteil gereichen darf und zum Widerruf der Außervollzugsetzung führen darf (OLG Karlsruhe StRR 2015, 123 [Ls.]).
  • Beschleunigungsgebot, Allgemeines: An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (KG, Beschl. v. 17.6.2015 – 4 Ws 48/15). Das Recht eines Angeklagten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu lassen, wird durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen begrenzt. Bei der Terminierung ist deshalb nicht jede Verhinderung eines Verteidigers zu berücksichtigen. Die terminlichen Verhinderungen des Verteidigers können angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit nur insoweit berücksichtigt werden, als dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (OLG Bremen, Beschl. v. 11.1.2016 – 1 HEs 3/15). Es ist zu beachten, dass das Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen einer Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht regelmäßig entgegensteht, da diese gerade zu einer ungerechtfertigten Verzögerung des Verfahrens führt (KG StraFo 2015, 419 = StV 2016, 171). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben – und damit auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Beschleunigungsgebot – gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl, sondern sind auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl von Bedeutung (OLG Karlsruhe StV 2015, 653 [Ls.]). Das Entstehen einer Verfahrensverzögerung durch die zwangsweise Anordnung einer Bronchoskopie zur Klärung der Verhandlungsfähigkeit des wahrscheinlich an offener Tuberkulose erkrankten Angeklagten kann im Einzelfall mit dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen vereinbar sein und die weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft auch über sechs Monate hinaus rechtfertigen. Bei der Anordnung einer solchen körperlichen Untersuchung zum Zwecke der Feststellung der Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten steht dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung. Daher ist im Wege der Haftprüfung nach § 121 StPO nur zu prüfen, ob das Tatgericht die rechtlichen Grenzen dieses Beurteilungsspielraums überschritten hat (OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2015 – 1 Ws 148/15).
  • Beschleunigungsgebot, Ermittlungsverfahren/Zwischenverfahren: An einen zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits andauert. Es widerspricht daher regelmäßig dem Beschleunigungsgebot, eine bereits erhobene Anklage wieder zurückzunehmen, um ein weiteres Verfahren hinzu zu verbinden, und dann erneut Anklage zu erheben (OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.3.2016 – 1 Ws 109/16).
  • Beschleunigungsgebot, Hauptverhandlung: Das OLG Nürnberg hat zu den Anforderungen an die Terminierungsdichte in Umfangsverfahren bei Vollzug von U-Haft Stellung genommen (StraFo 2015, 288). Danach gibt es keinen allgemeinen Grundsatz d...

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