Im Frühjahr 2019 hatten die Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs auf ihrer Jahrestagung die Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" eingesetzt. Nach rund einem Jahr hat die Arbeitsgruppe jetzt ein Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie weitreichende Änderungen im Zivilprozess vorschlägt. So sollen Gerichtsverfahren bürgerfreundlicher und effizienter werden, außerdem soll auf den technischen Fortschritt in der EDV reagiert werden – das Telefax etwa wollen die Richter ganz abschaffen.

Insbesondere folgende Neuerungen werden vorgeschlagen:

  • Elektronischer Bürgerzugang

    Es soll ein sicherer, bundesweit einheitlicher elektronischer Bürgerzugang in Form eines Online-Portals eingerichtet werden. Dieses soll der Entgegennahme von sonst bei der Rechtsantragstelle anzubringenden Anträgen sowie der Führung des Mahnverfahrens und des neu einzuführenden "Beschleunigten Online-Verfahrens" (s. dazu unten) dienen. Auch der Antragsgegner soll sich im Mahnverfahren über das Online-Portal beteiligen können, sodass ein echtes Online-Mahnverfahren durchgeführt werden könnte. Daneben soll die Möglichkeit geschaffen werden, "virtuelle Rechtsantragstellen" einzurichten, die im Wege der Videokonferenz mit dem Rechtsuchenden kommunizieren.

  • Elektronischer Rechtsverkehr

    Die Kommunikation mit den Rechtsanwälten soll per Kanzleipostfach im beA erleichtert werden. Die Zustellung gegen elektronisches Empfangsbekenntnis sollte so reformiert werden, dass zusätzlicher Aufwand bei den Gerichten vermieden wird. Hierzu kommen die Ersetzung des elektronischen Empfangsbekenntnisses durch eine automatisierte Eingangsbestätigung ebenso wie eine Zustellungsfiktion in Betracht. Perspektivisch muss nach Auffassung der Richter das Telefax als Übermittlungsweg abgeschafft werden, auch wenn es derzeit noch nicht verzichtbar sei. Insbesondere zur Vermeidung von sog. Mehrfacheinreichungen solle bereits jetzt eine Auslagenpauschale eingeführt werden, die die Rechtsanwälte als Kostenschuldner trifft. Für eine schnellere und zeitgemäße Kommunikation zwischen Gericht und Prozessbeteiligten soll ein Rechtsrahmen für einen "elektronischen Nachrichtenraum" geschaffen werden. Dieser dient in erster Linie dem formlosen Austausch elektronischer Nachrichten mit Rechtsanwälten sowie weiteren Verfahrensbeteiligten unabhängig von Schriftsätzen und gerichtlichen Entscheidungen, z.B. für Terminabsprachen und -verlegungen oder den Austausch von Vergleichsvorschlägen.

  • Beschleunigtes Online-Verfahren

    Es soll ein Beschleunigtes Online-Verfahren für Streitwerte bis 5.000 EUR eingeführt werden. Dabei handelt es sich um ein formularbasiertes Verfahren in typischen massenhaft auftretenden Streitigkeiten, das i.d.R. vollständig im Wege elektronischer Kommunikation geführt wird. Die Teilnahme am Beschleunigten Online-Verfahren soll für Kläger freiwillig sein. Für Unternehmen auf der Beklagtenseite soll ein Nutzungszwang eingeführt werden. Eine mündliche Verhandlung soll nur ausnahmsweise und erforderlichenfalls als Video- bzw. Telefonkonferenz stattfinden. Auch Beweise sollen im Rahmen einer Videoverhandlung erhoben werden. Es soll der Freibeweis gelten.

  • Strukturierung des Parteivortrags

    Der Parteivortrag im Zivilprozess sollte unter den Bedingungen elektronischer Aktenführung in einem gemeinsamen elektronischen Dokument ("Basisdokument") abgebildet werden. Die Erstellung eines solchen Basisdokuments ist für die Parteien im Anwaltsprozess verbindlich. Das Basisdokument umfasst das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einschließlich der Sachanträge. Der Kläger- und Beklagtenvortrag zum Lebenssachverhalt wird im Sinne einer Relationstabelle nebeneinander dargestellt. Er ist nach einzelnen Lebenssachverhaltselementen – i.d.R. chronologisch – und nicht nach Anspruchsgrundlagen gegliedert. Ergänzungen des Vortrags durch die Parteien werden unter Kennzeichnung der Nachträglichkeit an der sachlich passenden Stelle eingefügt. Der im Basisdokument enthaltene wechselseitige Sachvortrag wird im Laufe des Verfahrens verbindlich. Er bildet die Entscheidungsgrundlage und übernimmt so die Funktion des Tatbestands im Urteil.

  • Videoverhandlung und Protokollierung

    Es soll die Möglichkeit einer "virtuellen Verhandlung" per Videokonferenz geschaffen werden, bei der sich auch das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhalten muss. Die Verhandlung soll für die Öffentlichkeit zeitgleich in einen vom Gericht bestimmten Raum in Bild und Ton übertragen werden. Von Beweisaufnahmen soll – nach einer Übergangsfrist bis 2026 – zwingend ein schriftliches Wortprotokoll gefertigt werden. Grundlage für die (computergestützte) Verschriftlichung kann auch eine Videoaufzeichnung der Beweisaufnahme sein. Die Videoaufnahme dient nur der Herstellung des Protokolls, ersetzt dieses aber nicht.

  • Effizienzsteigerung durch Technikeinsatz

    Das Beweisrecht soll an elektronische Dokumente angepasst werden. Neben einer Legal...

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