Sommerzeit ist Reisezeit und mitunter hält eine im Ausland geahndete Geschwindigkeitsübertretung für den Autofahrer eine Überraschung bereit. So sorgte im vergangenen Jahr ein hanebüchener Fall für erhebliches Aufsehen: Ein junger Automobilist aus der Schweiz missachtete nur wenige Kilometer von seinem Heimatland entfernt das am deutschen Tatort geltende Tempolimit von 120 km/h; er fuhr stattdessen 280 km/h! Noch vor dem Grenzübertritt wurde er von der deutschen Polizei angehalten und nach dem hiesigen Bußgeldrecht als Ausländer zur Zahlung einer sofortigen Sicherheitsleistung veranlasst. Diese hinterlegte er als sog. Bußendepot i.H.v. 800 Franken (was einer in Deutschland für diesen Verstoß höchstmöglichen Geldbuße von 680 EUR zuzüglich Verfahrenskosten entspricht). Danach durfte er mit seinem Auto nach Basel weiterfahren.

Mit dieser aus Schweizer Sicht vergleichsweise milden Ahndung konnte er hochzufrieden sein. Hätte er sich nämlich einige Kilometer weiter südlich auf seiner heimatlichen Autobahn derart ausgetobt, wäre ihm eine horrende Strafe sicher gewesen. Das zuständige Polizeigericht hätte ihn als "Raser" verfolgt. Als solcher gilt, wer auf Schweizer Autobahnen mindestens 80 km/h zu schnell ist (auf anderen Straßen können bereits geringere Geschwindigkeitsüberschreitungen zur Qualifizierung als "Raser" führen). Der Raser-Tatbestand wäre demzufolge nach Art. 90 des schweizerischen Strassenverkehrsgesetzes (SVG) bei Weitem übererfüllt gewesen, wenn – unter Beachtung einer Toleranzmarge – 280 km/h gefahren worden wären. Ein derartiger Verstoß gilt als "grobe Verletzung der Verkehrsregeln" nach Absatz 2 der genannten Vorschrift. Nach Art. 90 Abs. 3 SVG wird erst recht als Raser bestraft, wer durch "vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln" das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch "besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit".

Bei solch schweren Zuwiderhandlungen, die etwa in der Schweiz längst keine Ordnungswidrigkeiten mehr sind, wird die zu verhängende Geldstrafe – wenn nicht eine Freiheitsstrafe darauf steht – als Straftat in Tagessätzen (TS) bemessen. Deren Höhe entspricht dem täglichen Nettoeinkommen des Täters. Nach dem Schweizer Motto "Gleiches Leiden für gleiche Schuld" wird die Geldstrafe seinen finanziellen Verhältnissen und den wirtschaftlichen Umständen angepasst. Je nach Verschulden können vom Polizeigericht bis zu 360 Tagessätze mit der höchstmöglichen TS-Höhe von 3.000 Franken verhängt werden, was im Extremfall eine maximale Geldstrafenhöhe von über 1 Mio. Franken (ca. 850.000 EUR) entspricht! Hinzu kommt die Beschlagnahme und Verwertung des Tatfahrzeugs (in solchen Fällen oft Sportwagen), von langen Führerscheinentzügen gar nicht erst zu reden.

Natürlich ist in der Schweiz nicht in jedem Fall ein Schnellfahrer auch gleich ein Raser. Vergleichsweise erträglich erscheinen somit Schweizer Tempobußen im mittleren Bereich. So werden Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen von mehr als 35 km/h mit mindestens 800 Franken/680 EUR geahndet (in Deutschland: 160 EUR). Wird man nur "geblitzt" und nicht angehalten, gibt es hinterher einen Strafbescheid über die Grenze hinweg. Steht dieser zur Zahlung an, kommt man letzten Endes in die schweizerische Fahndungsdatei. Die genannten 800 Franken Buße (zuzüglich sehr hoher Verfahrenskosten) werden bei Nichtzahlung in eine Ersatzhaftstrafe von etwa 27 Tagen umgewandelt (30 Franken = 1 Tag Haft); diese ist jedoch in Deutschland generell nicht vollstreckbar. Aber Vorsicht: Vor Eintritt der Vollstreckungsverjährung ist jede Fahrt in die Schweiz ein Glücksspiel.

Als Nachtrag noch der hochaktuelle Fall eines deutschen Autofahrers, der als sog. Gotthard-Raser bekannt wurde. Dieser war mit Tempo 200 trotz nur zulässiger 120 km/h über eine Alpenautobahn gerast und hatte dabei andere Kraftfahrer mehrfach gefährdet; zudem hatte er im Tunnel waghalsig überholt. Ein Gericht in Lugano verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis. Das Urteil gegen den Raser wurde von einem deutschen Strafgericht (OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.4.2018 – 1 Ws 23/18, ZAP EN-Nr. 429/2018) auf vertragsloser Basis nach §§ 48 ff. IRG für vollstreckbar erklärt. Der Gotthard-Raser muss nun sogar in ein deutsches Gefängnis.

Weithin unbekannt ist, dass es auch andere europäische Länder gibt, in denen sich die Geldbußen bzw. -strafen für hohe Geschwindigkeitsüberschreitungen nach dem Geldbeutel des Fahrzeugführers richten, sprich: nach dem Einkommen des Verkehrssünders. So auch in Skandinavien, speziell in Finnland, wo für Tempolimitverstöße enorme Geldstrafen verhängt werden können (s. auch Neidhart/Nissen, Bußgeldkataloge in Europa, 2. Aufl. 2018; dort werden u.a. die Geldbußen aller wichtigen europäischen Reiseländer behandelt).

In der Vergangenheit sind immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen insbesondere reiche Finnen der Polizei in die (Radar-)Falle gefahren sind. Darunter befanden sich u.a. Manager, Industri...

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