Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG. Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Diese und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am 15.1.2014 eine Vereinbarung ab, die als "Interessenausgleich" bezeichnet wurde. Nach deren § 4 steht den von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern eine nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnenden Abfindung zu. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10.2.2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aus betriebsbedingten Gründen zum 30.9.2014. In dem Schreiben heißt es u.a.:

Zitat

"Sie haben die Möglichkeit, sich gegen die betriebsbedingte Kündigung zu wehren. Das müssen Sie nach dem KSchG innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung tun. Lassen Sie diese Frist verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben, haben Sie nach § 1a KSchG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung i.H.e. halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr."

Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte ihm eine Abfindung nach dem "Interessenausgleich" i.H.v. 86.300 EUR brutto. Mit der Klage beanspruchte der Kläger die Zahlung einer Abfindung nach § 1a KSchG in gleicher Höhe. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg (BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NJW 2017, 346).

Die Anspruchsvoraussetzungen aus § 1a Abs. 1 KSchG sind erfüllt. Die Beklagte hat dem Kläger eine betriebsbedingte ordentliche Kündigung erklärt und ihn in dem Kündigungsschreiben darauf hingewiesen, er könne eine Abfindung nach § 1a KSchG beanspruchen, wenn er von einer Klageerhebung absehe. Das Schreiben kann nicht so verstanden werden, dass die Beklagte in dem Kündigungsschreiben lediglich auf eine Abfindungsregelung des "Interessenausgleichs" hingewiesen hat. Ein solcher rein deklaratorischer Verweis auf kollektivrechtliche Bestimmungen ist zwar möglich. Der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aber, so das BAG, aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben. Fehlt es daran, enthält dieses vielmehr einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach dieser Vorschrift. Ferner hat das BAG entschieden, dass die Beklagte den sich aus § 1 Abs. 1 KSchG ergebenden Anspruch des Klägers nicht durch die Zahlung der sich aus dem "Interessenausgleich" ergebenden Abfindung erfüllt hat. Eine (vollständige) Anrechnung der dort normativ geregelten Abfindung auf den durch den Hinweis nach § 1a Abs. 1 KSchG begründeten Abfindungsanspruch scheidet wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke aus Rechtsgründen aus. Mit der Regelung in § 1a KSchG will der Gesetzgeber eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess fassen. Sozialplanleistungen i.S.v. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG liegt ein solcher Normzweck hingegen nicht zugrunde. Vielmehr dienen diese Leistungen dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile. Diese dürfen nicht von einem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden, was aus dem in § 75 Abs. 1 BetrVG normierten betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz folgt (s. BAG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997; v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438).

 

Hinweise:

1. Sowohl bei Sozialplanverhandlungen als auch bei außergerichtlichen und gerichtlichen Vergleichen ist stets das Nebeneinander von Abfindungen aus verschiedenen Rechtsgründen und ggf. Nachteilsausgleichansprüchen zu beachten. Zur Klarstellung ist stets eine Anrechnungsregelung empfehlenswert.
2. Bei § 1a KSchG soll eine vollständige Anrechnung auf Sozialplanansprüche wegen deren unterschiedlicher Zielsetzung ausgeschlossen sein.
3. Eine Abfindung nach § 1a KSchG bewirkt kein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 158 Abs. 1 SGB III (s. unten IV. 3.).

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