Die Notwendigkeit der Verteidigung als Folge einer schwierigen Sachlage kann sich auch daraus ergeben, dass der Angeklagte die Hauptverhandlung ohne Akteneinsicht, wie sie gem. § 147 StPO nur dem Verteidiger zusteht, nicht umfassend vorbereiten kann. Ist dies der Fall, etwa weil das Tatgeschehen eines früheren Verfahrens inzident geprüft werden muss (LG Essen StV 2011, 663), Akten anderer Verfahren eingesehen werden müssen (LG Cottbus StV 1999, 642; LG Tübingen StV 1999, 642), ein in der Akte befindliches Sachverständigengutachten zu prüfen ist (vgl. hierzu die zahlreichen Nachweise bei Burhoff, Handbuch EV, Rn. 2202) oder weil im Rahmen der Zeugenbefragung Vorhalte erforderlich sind (OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 176), hat eine Beiordnung zu erfolgen, eines besonderen Verfahrensumfangs bedarf es dann nicht.

Beiordnungsanträgen, die auf das Erfordernis umfassender Akteneinsicht gestützt werden, wird allerdings hin und wieder § 147 Abs. 7 StPO entgegen gehalten, wonach der unverteidigte Angeklagte auf seinen Antrag hin Auskünfte und Abschriften aus den Akten erhält, wenn er sich sonst nicht angemessen verteidigen könnte.

Bevor der Angeklagte hierauf verwiesen wird, bedarf es jedoch der Prüfung, ob es nicht der dem Verteidiger vorbehaltenen vollständigen Akteneinsicht bedarf; in diesem Fall ist dem Angeklagten mit Auskünften nicht geholfen (vgl. LG Köln StV 2015, 20). Außerdem darf aus der bloßen Kenntnisnahmemöglichkeit des Angeklagten vom Akteninhalt nicht auf seine umfassende Verteidigungsfähigkeit geschlossen werden, aus der Verfügbarkeit der Akten folgt nicht automatisch deren Verwertbarkeit. Vielmehr kommt es darauf an, ob bereits die Erteilung von Auskünften oder Abschriften den Angeklagten in die Lage versetzt, sich gegen den an ihn gerichteten Vorwurf auch ohne den Beistand eines Verteidigers sachgerecht und umfassend wehren zu können. Dies kann insbesondere bei einfach gelagerten Sachverhalten der Fall sein (KG Berlin NStZ-RR 2013, 116 für ein Körperverletzungsverfahren, in dem in der nur 36-minütigen Hauptverhandlung ein Zeuge gehört wurde und 17 Lichtbilder in Augenschein genommen wurden).

Nicht ausreichend sind die dem Angeklagten durch § 147 Abs. 7 StPO eröffneten Möglichkeiten dagegen, wenn er selbst nicht in der Lage ist, die für seine Verteidigung relevanten Aktenteile zu benennen und ihre Bedeutung einzuschätzen (LG Essen StV 2011, 663). So wird der Abgleich von Zeugenaussagen, deren Bewertung sowie die Suche nach sich hieraus ergebenden Verteidigungsansätzen den Angeklagten in aller Regel überfordern. Gleiches gilt für die Bewertung der Relevanz sich in der Akte befindender Urkunden. Hiervon ausgehend wird § 147 Abs. 7 StPO nur in wenigen Fällen zur Ablehnung eines Beiordnungsantrags herangezogen werden können.

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