Die Corona-Pandemie hat im alltäglichen Leben bisher für einen erheblichen Digitalisierungsschub gesorgt. Online-Meetings, Online-Vorlesungen, Homeschooling und auch private Diskussionen über Plattformen wie Zoom, Teams und viele andere Anbieter sind selbstverständlich geworden. Die Stiftung Warentest hat gerade die Qualität der beliebtesten Anbieter getestet und hat zwar etwas Sorge bei manchen Fragen des Datenschutzes, stellt aber fest, dass die Qualität der meisten Anbieter sehr ordentlich ist.

In den Anwaltskanzleien sind Mandantenbesprechungen und interne Beratungen über diese Plattformen selbstverständlich geworden.

Nur die Justiz hat an vielen Stellen Bedenken gegen die offensive Nutzung einer "digitalen Gerichtsverhandlung", wobei die ersten Gerichte in den vergangenen Wochen, wie etwa die LG Düsseldorf, München I und Hannover ihren ersten digitalen Verhandlungen eigene Medieninformationen widmeten.

Zwar eröffnet die Zivilprozessordnung in der jetzigen Fassung des § 128a ZPO, der auf andere Verfahrensordnungen, etwa für Verfahren vor Arbeits- und Verwaltungsgerichten, Bezug nimmt, dafür eine eigene Vorschrift: In § 128a ZPO ist die "Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung" auf Antrag oder von Amts wegen möglich. Ein Anspruch auf eine solche Verhandlung besteht allerdings nicht. Was bedeutet dies? Eine Gerichtsverhandlung kann in der Form stattfinden, dass die Richter in einem für eine solche Verhandlung geeigneten Sitzungssaal sitzen und die anderen Verfahrensbeteiligten per Videoübertragung zugeschaltet werden. Jeder sieht und hört jeden. Möglich sind dabei auch verschiedene Varianten, so etwa, dass man nur Zeugen und Sachverständige digital zuschaltet oder nur einen Rechtsanwalt oder die Parteien. So könnten etwa die Rechtsanwälte/Rechtsanwältinnen und ihre Mandantschaft in den Kanzleien sitzen und sich auch – wie bei einer Präsenz-Verhandlung – in Ruhe beraten. Die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ist dabei gewahrt, denn auch Zuschauer können im Saal an der Verhandlung teilnehmen. Datenschutzfragen stehen dabei – da die Verhandlungen öffentlich sind – für den Verfasser jedenfalls hintenan.

Doch viele Gerichte sind darauf immer noch nicht vorbereitet. Eine Übersicht über die entsprechende technische Ausstattung zeigt, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern gibt.

Deutlich hat die Missstände jetzt das Kammergericht in Berlin in typischem Juristendeutsch formuliert (KG, Urt. v. 12.5.2020 – 21 U 125/19):

"Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif, insb. hat der Senat am 5.5.2020 eine ordnungsgemäße mündliche Verhandlung durchgeführt. Bei dieser waren nur die drei Mitglieder des Senats im Sitzungssaal des Kammergerichts anwesend, haben dort aber eine Videokonferenz mit den Prozessbevollmächtigten beider Parteien abgehalten, die über eine Webkonferenz-Software zugeschaltet waren. Diese Vorgehensweise ist von § 128a Abs. 1 ZPO gedeckt. Dass die von den Senatsmitgliedern genutzten Notebooks und die verwendete Webkonferenz-Software nicht vom Gericht, sondern von den Senatsmitgliedern privat gestellt waren, ist unerheblich. § 128a Abs. 1 ZPO ist insoweit keine Einschränkung zu entnehmen. Die Verhandlung war auch öffentlich, da das Kammergericht zur Zeit der Verhandlung unbeschadet der Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus für die Öffentlichkeit zugänglich und der Saal, in dem die drei Senatsmitglieder saßen, ebenfalls geöffnet war."

Sinnvoll wären solche Verhandlungen unter verschiedenen Gesichtspunkten: Zum einen müssten Parteien und Rechtsanwälte nicht zum Gericht anreisen. Denn oftmals sind die Wege zum zuständigen Gericht weit. In Zeiten der Beschränkungen durch Corona ist es auch verständlich, dass viele Beteiligte nicht reisen wollen oder auch wegen einer Kinderbetreuung gar nicht reisen können – gerade auch dann, wenn der Gerichtstermin mit einer Übernachtung verbunden wäre. Zum anderen könnten die Rückstände nach dem zwei Monate andauernden Ausfall von Gerichtsverhandlungen im März/April 2020 rascher aufgearbeitet und die Verhandlungstage schneller terminiert werden. Denn bei der Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln dürfen Verhandlungen zeitlich nicht so eng aufeinander folgen. Zudem sind nicht alle Sitzungssäle groß genug, um die notwendigen Abstände zwischen den Beteiligten zu gewährleisten und stehen damit schlicht nicht zur Verfügung.

Zahlreiche Gerichtsverfahren eignen sich für eine solche Verhandlung, heißt es zum Beispiel von den Präsidenten der Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit in Köln und auch der Rechtsanwaltskammer (RAK) Köln, etwa dann, wenn es nicht auf komplexe Zeugenbefragungen ankommt, sondern eher Rechtsfragen zu diskutieren sind. Auch die Befragung von Sachverständigen, die oft weit anreisen, könnte im Rahmen eines solchen Gerichtstermins gut stattfinden. In der Praxis gerade der Fachgerichtsbarkeit, aber auch bei den ordentlichen Gerichten handelt es sich oftmals um "Durchlauftermine", bei denen man sich fragt, warum man anreisen muss. Oftm...

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