Auch bei 90 Tagessätze nicht übersteigenden Geldstrafen kann eine Absenkung der Tagessatzhöhe angezeigt sein. Dies betrifft vor allem besonders einkommensschwache Personen, weil diese bei strikter Einhaltung des Nettoeinkommensprinzips härter als Normalverdiener getroffen werden (OLG Stuttgart StV 1999, 131; OLG Köln StV 2016, 218). Auch hier müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass dem Gericht bewusst war, dass eine solche Prüfung vorzunehmen ist (KG NJW-Spezial 2013, 217).

In der Praxis stellt sich die Frage nach einer Absenkung der Tagessatzhöhe insbesondere bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Feste Regeln zur Bemessung der Tagessatzhöhe gibt es zwar auch in diesen Fällen nicht; es ist jedoch zu beachten, dass einem Sozialleistungsempfänger nicht mehr genommen werden kann als die Differenz zwischen tatsächlich gewährten Sozialleistungen und dem unerlässlichen Lebensbedarf (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11a m.w.N.). Wie dem im Einzelfall Rechnung getragen wird, hat der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, eine schematische Behandlung verbietet sich auch hier (OLG Köln StV 2016, 218). Stets erforderlich ist eine einzelfallbezogene Erörterung der Gesamtbelastung des Angeklagten; diese kann nicht allein durch den Hinweis auf den Bezug von Sozialleistungen ersetzt werden (OLG Braunschweig, Urt. v. 26.6.2015 – 1 Ss 30/15, ZAP EN-Nr. 886/2015).

Die Regelsätze beim Arbeitslosengeld II werden regelmäßig überprüft und angehoben, zuletzt zum 1.1.2017 (s. ZAP Anwaltsmagazin 1/2017, S. 3). Im Anschluss an derartige Anpassungen sind in der Praxis hin und wieder Versuche zu beobachten, höhere Tagessätze durchzusetzen. Zur Begründung wird dann darauf verwiesen, dass sich das Einkommen des Angeklagten durch die Erhöhung des Regelsatzes verbessert habe. Diese Argumentation verfängt freilich nicht: Zum einen sind die Erhöhungen oftmals so gering, dass sie sich nicht nennenswert auswirken (zuletzt stieg der Satz für Alleinstehende um gerade einmal fünf Euro monatlich), und zum anderen lässt sie außer Acht, dass das SGB II trotz der erhöhten Regelsätze dem Leistungsempfänger weiterhin lediglich ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, § 1 Abs. 1 SGB II. Eine "Einkommensverbesserung" über die Sicherung des zur Wahrung der Menschenwürde unerlässlichen Existenzminimums hinaus ist folglich mit einer Anpassung der Regelsätze gerade nicht verbunden; vielmehr soll hierdurch lediglich sichergestellt werden, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens eingehalten werden.

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