„Innovation und Legal Tech“ ist das Motto des diesjährigen, vom 24. bis zum 26. Mai 2017 in Essen stattfindenden Deutschen Anwaltstages. Ein Thema, das alle Lebensbereiche betrifft und deshalb jede Berufsgruppe angeht – auch die Anwaltschaft. Was früher die Dampfmaschine war, ist heute das Internet. Es verändert Märkte, Arbeitsweisen, politische Prozesse und Sozialverhalten.

Auch die technischen Abläufe in unseren Kanzleien haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Die Schreibmaschinen sind PCs gewichen, ein Großteil des Postverkehrs dem Fax – und dies wird nun bald komplett durch die E-Mail ersetzt.

Seit dem 29.10.2016 ist das vom deutschen Gesetzgeber der Anwaltschaft als Pflichtaufgabe übertragene besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) aktiv. Mit ihm können Klageschriften, Schriftsätze und Anträge sicher an das Gericht versendet und gleichzeitig verlässlich die Zustellung überprüft werden. Und es erlaubt eine ebenfalls sichere, geschützte Korrespondenz zwischen uns Kolleginnen und Kollegen. Das beA war und ist immer noch eine Riesenaufgabe für die Bundesrechtsanwaltskammer, schließlich sind wir Juristen und keine Informatiker. Aber in der Welt der Digitalisierung ist es nur ein kleiner Schritt – auch für die Anwaltschaft. Denn der Markt entwickelt sich weiter, und das sehr schnell.

Jeden Tag erscheinen Neuerungen, die uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in allen Lebens- und Arbeitsbereichen begegnen. Neue Chancen eröffnen sich am Markt, aber auch Risiken und Gefahren für Verbraucher und Anwalt. Mandantenakquise kann über Plattformen betrieben werden. Über sie informieren sich Bürger über ihre Rechte und treten mit Rechtsanwälten in gezielten Kontakt. Aber es können auch schon rechtliche Prüfvorgänge allein von Software erledigt, mit ihrer Hilfe sogar Schriftsätze generiert werden. Wir haben alle von künstlicher Intelligenz, von den „Supercomputern“ Watson und ROSS gehört und gelesen, die mehr und mehr abstrahieren und auch Rechtsprobleme selbstständig lösen können – und ständig dazulernen.

Der englische Professor Richard Susskind fragt in einem seiner Bücher, ob dies das Ende der Anwälte ist. Ist die digitale Rechtsberatung also der Tod der Anwaltschaft? Wird uns der Markt überrollen?

Ich bin überzeugt, dass wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unsere berufliche Zukunft selbst in der Hand haben. Wir sollten die stetige Entwicklung lernfähiger Computer für unsere individuellen Beratungsleistungen nutzen. Hierzu gehört auch, sich einzugestehen, dass der PC auf oder unter unserem Schreibtisch bestimmte Dinge möglicherweise besser oder verlässlicher kann als das menschliche Gehirn – auch als das eines Rechtsanwalts.

Unsere Aufgabe sollte es sein, herauszuarbeiten und transparent zu machen, was uns von den Computern unterscheidet, was wir besser können als sie, worin die besonderen Stärken unserer anwaltlichen Rechtsberatung liegen, welchen Vorteil es für den rechtssuchenden Bürger hat, nicht allein das virtuelle Gespräch mit einer Plattform zu führen, sondern sich von einem nur ihm verpflichteten unabhängigen Rechtsanwalt persönlich beraten und vertreten zu lassen.

Die Anwaltschaft wird sich dabei auf einen neuen Typ von Mandanten einstellen müssen: Nicht mehr den unkundigen, allenfalls ratgeberbelesenen Anspruchsteller, der mit seiner oftmals diffusen Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit uns davon zu überzeugen versucht, dass die Rechtslage für ihn doch besser ist als wir es einschätzen. Sondern den vorinformierten, die Sach- und Rechtslage schon kennenden, seine Interessen selbst abwägenden Bürger, der eventuell nur eine Zweit- oder Drittmeinung einholt und gleichwohl einen für ihn erkennbaren Mehrwert von unserer Beratung erwartet.

Wir wissen alle, dass sich durch die Technologisierung unserer Welt vieles geändert hat und sich noch mehr ändern wird. Auch der Anwaltsberuf hat und wird sich in seinen an ihn gestellten Anforderungen und in seinen von ihm gestalteten Abläufen verändern. Die Bundesrechtsanwaltskammer wird der Anwaltschaft dabei – wie schon bisher – begleitend zur Seite stehen. Technologische Innovationen müssen gefördert und in den Kanzleialltag integriert werden, aber natürlich immer unter der Prämisse, dass die Kernwerte unseres Berufes nicht infrage gestellt werden.

Der diesjährige Anwaltstag bietet eine hervorragende Möglichkeit für Anwaltschaft und Berufsverbände, sich über die Neuerungen im Bereich Technologie zu informieren, auszutauschen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln.

Autor: Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer

ZAP F., S. 557–558

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