"Streitkultur im Wandel – weniger Recht?" ist das Motto des diesjährigen Deutschen Anwaltstages vom 11. bis 13. Juni 2015 in Hamburg. Die beiden Schwerpunktveranstaltungen "Gerichtsschließungen – Aufgabe der Rechtspflege" und "Streitkultur im Wandel – Aufgabe der Rechtspflege" und die sie begleitenden Fachveranstaltungen lassen vermuten, dass es eine allgemeine Diskussion zu der Frage geben wird, ob Rechtsstreitigkeiten in Deutschland immer weniger vor staatlichen Gerichten verhandelt werden, wir damit eine zentrale Aufgabe der Rechtspflege aufgeben und welche Auswirkungen das für den Verbraucherschutz hat.

Seit mindestens einem Jahrzehnt werden von vielen politischen und gesellschaftlichen Meinungsführern vermehrt Mechanismen zur außergerichtlichen Streitbeilegung gefordert und gefördert. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 stellte das Bundesverfassungsgericht – fast bestätigend – fest: "Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung." Und ohne Zweifel gehen die Eingangszahlen bei den Zivilgerichten seit einigen Jahren stetig zurück. Ob dies an der Verbreitung außergerichtlicher Streitbeilegungsangebote liegt, ist offen, jedenfalls empirisch nicht geklärt. Gleichwohl wurden z.B. beim Deutschen Juristentag 2014 in Hannover etliche Beschlüsse gefasst, die ausdrücklich darauf abzielen, die deutsche Gerichtsbarkeit zu stärken, z.B. weil gerade in größeren Wirtschaftsprozessen Schiedsgerichte oft wesentlich gefragter seien. Und es gibt eine Initiative der Länder Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein mit dem Arbeitstitel "Verfahrenserleichterungen im Zivilprozessrecht", mit der versucht werden soll, die Justiz für die Zukunft attraktiver, wenn man so will "konkurrenzfähiger" zu machen.

Aber ist außergerichtliche Streitbeilegung überhaupt Konkurrenz? Ist sie nicht vielmehr eine anerkannte Alternative, um Gerichte zu entlasten und dem Verbraucher eine kostengünstige und schnelle Konfliktlösung zu ermöglichen?

Derzeit liegt ein Referentenentwurf zur Umsetzung der sog. ADR-Richtlinie vor, nach der Verbrauchern flächendeckend kostenlos oder gegen ein nur geringes Entgelt der Zugang zu einer außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle für Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) oder über das Bestehen eines solchen Vertragsverhältnisses eröffnet werden soll. Ohne Zweifel wird diese Form der Verbraucherschlichtung für den Bürger ein interessantes Angebot sein, wenn es tatsächlich kostengünstiger ist als ein Gerichtsverfahren, aber auch nur dann, wenn zumindest die verantwortliche Schlichtungsperson die Befähigung zum Richteramt hat, also die auftretenden Rechtsfragen kompetent beantworten und damit Qualitätsstandards sichern kann. Nur die Erfüllung dieser Anforderungen kann dazu beitragen, dass diese Form der außergerichtlichen Streitbeilegung die gewünschte Akzeptanz bei Verbrauchern und Unternehmern erfährt.

Wichtig ist, dass nach der Richtlinie die Teilnahme an einer Schlichtung für alle Beteiligten freiwillig bleiben wird, ganz gleich, wer sie anbietet. Der Zugang zu den Gerichten soll nicht eingeschränkt werden. Das neue Gesetz soll also die Verbraucherrechte weiter stärken, den gerichtlichen Rechtsschutz aber nur ergänzen – nicht ersetzen. Dass das funktionieren kann, dafür ist die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft ein gutes Beispiel. Und ich erlaube mir den Hinweis, dass sie schon jetzt alle Anforderungen erfüllt, die das neue Gesetz an solche Einrichtungen stellt, auch die vorstehend genannten.

Für Unternehmen besteht bereits in Form der Schiedsgerichtsbarkeit eine gute Alternative zu den ordentlichen Gerichten. Ich sage dies bewusst in Kenntnis der Tatsache, dass das gerade behandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP), und hier insbesondere die dort vorgesehene Möglichkeit der Durchsetzung von Investorenrechten gegen staatliche Institutionen vor Schiedsgerichten, zu streitigen Debatten führt. Es stellt sich die Frage, ob mit ihnen nicht ohne Not und aus purer Unkenntnis eine vertraute und sinnvolle Institution pauschal in Misskredit gezogen wird.

Neu ist eine Diskussion über Schiedsverfahren sicher nicht. Immer wieder werden Stimmen laut, die kritisieren, dass Schiedsgerichte nach wenig transparenten Vorschriften handeln, die sehr knapp gefasst sind und große Ermessensspielräume eröffnen. Außerdem wird beanstandet, dass die Verhandlungen nicht öffentlich sind, der Schiedsspruch selbst ebenfalls meist nicht veröffentlicht wird, und es grundsätzlich keine Möglichkeit gibt, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. Auch sei die Unabhängigkeit der Schiedsrichter nicht immer gewährleistet, weil sie von den Parteien selbst ausgewählt und bezahlt werden, so die Kritik.

Dem muss deutlich entgegengehalten werden, dass sich der deutsche Gesetzgeber mit dem 10. Buch der ZPO bewusst für die Schiedsgerichtsbarkeit entschieden h...

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