Leitsatz

Die ineffiziente Organisation einer Ausgangskontrolle (für fristwahrende Schriftsätze eines Steuerberaters reicht für sich allein noch nicht zur Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung i. S. v. § 4 Nr. 6 S. 1 AVB-WB aus.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 6 S. 1 AVB-WB

 

Sachverhalt

Die Kl., die bei der Bekl. eine nach § 67 StBerG vorgeschriebene Haftpflichtversicherung unterhält, hat sich gegenüber einer Mandantin schadenersatzpflichtig gemacht, weil sie die Investitionszulage für das Jahr 1994 verspätet beantragt hat und weil diese Investitionszulage daher nicht gewährt wurde …

Die Bekl. verweigert den Versicherungsschutz. Die Kl. habe keine Organisation, die die Überwachung der Erledigung und Absendung fristwahrender Schriftstücke sicherstelle. Das Fehlen jeglicher Organisationsform im Hinblick auf eine wirksame Kontrolle sei bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe als wissentliche Pflichtverletzung einzuschätzen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg. (Die Revision wurde vom BGH nicht angenommen.)

 

Entscheidung

Das OLG führte aus, das LG sei davon ausgegangen, dass die Leistungspflicht der Bekl. nach § 4 Nr. 6 S. 1 AVB-WB ausgeschlossen sei. Nach dieser Bestimmung beziehe sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Das LG habe das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht mit der Begründung, die Kl. habe die Anforderungen der Rspr. an eine wirksame Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftstücke nicht sichergestellt.

Der Senat verstehe diese Rspr. (z. B. BGH VersR 93, 207) dahin, dass sie nur die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung bestimmter Fristen (§ 233 ZPO) regele. Daran ändere die Tatsache nichts, dass z. B. in der genannten Entscheidung des BGH ausgeführt werde, dass ein Rechtsanwalt durch eine entsprechende Organisation eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftstücke sicherstellen müsse, woraus sich eine entsprechende Pflicht ergebe. Die Entscheidung betreffe aber nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Zustand zu gewähren ist. Die Entscheidung besage nicht, dass es unabhängig von den Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Pflicht eines Rechtsanwalts oder eines Steuerberaters gibt, eine wirksame Ausgangskontrolle durchzuführen. Ein wissentlicher Verstoß gegen eine solche Verpflichtung komme daher im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Der BGH habe in VersR 70, 1121, 1122 ausgesprochen, dass die Klausel nicht auf einen Fall angewandt werden könne, in dem ein Unternehmen seinen allgemeinen Verpflichtungen zur Einrichtung und Regelung eines gefahrlosen Betriebs nicht nachkommt. Andernfalls würde die Ausschlussklausel sinnwidrig auf alle Fälle ausgeweitet werden, in denen der Schaden durch Anordnung und Durchführung geeigneter Vorschriftsmaßnahmen zu verhindern gewesen wäre. Damit würde der Versicherungsschutz praktisch weitgehend entwertet und der mit dem Versicherungsvertrag verfolgte Zweck nicht erreicht. Auch wenn dieser Entscheidung - so das OLG - eine sehr viel enger gefasste Vertragsbestimmung zugrunde gelegen habe als im vorliegenden Fall, so würden diese Grundsätze auch für den hier gegebenen Sachverhalt gelten.

Auch sonst gebe es kein Gesetz und keine behördliche Anordnung über die von einem Steuerberater vorzunehmende Fristenkontrolle. Auch der Auftraggeber habe keine Anweisung oder Bedingung in dieser Richtung gestellt.

Der Senat habe, wie schon das LG, den Geschäftsführer der Kl. persönlich angehört. Dabei habe der Senat den Eindruck gewonnen, dass der Geschäftsführer der Kl., wenn man überhaupt von einer Pflicht zur Durchführung einer wirksamen Ausgangskontrolle ausgehen wolle, diese Pflicht jedenfalls nicht wissentlich, sondern nur fahrlässig verletzt habe. Aus den Angaben des Geschäftsführers der Kl. ergebe sich, dass eine schriftliche Weisung an die Mitarbeiter gegeben worden war, fristwahrende Belege jeweils zu der betreffenden Akte zu nehmen. Er habe die einzelnen Akten daraufhin geprüft, ob die Investitionszulagenanträge fertiggestellt waren. Dabei sei ihm entgangen, dass der Beleg für die Absendung eines Einschreibens nicht bei der Akte war. Jedenfalls sei er der Auffassung gewesen, dass die Kl. durch diese Organisation der Ausgangskontrolle ihrer Verpflichtungen gegenüber den Mandaten Genüge getan habe.

Angesichts dieser Angaben des Geschäftsführers der Kl., der persönlich einen glaubhaften Eindruck machte, habe die Bekl. den ihr obliegenden Beweis für einen wissentlichen Verstoß nicht erbracht.

 

Link zur Entscheidung

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.05.1998, 7 U 202/97

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