Leitsatz

Kein Widerruf einer mit Stimmzettel abgegebenen Stimme nach Zugang beim Versammlungsleiter

 

Normenkette

§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB

 

Kommentar

  1. Im Rahmen eines schriftlichen Abstimmungsvorgangs gelangten die Stimmzettel zum Beiratsvorsitzenden, der sein mitgeteiltes Ergebnis der Abstimmung dem Verwalter mitteilte, welches dieser dann auch in einer Excel-Tabelle eintrug. Zwei Eigentümer hatten auf ihren abgegebenen Stimmzetteln zunächst "Nein" angekreuzt, wollten dies allerdings zu einem zwischen den Parteien strittigen Zeitpunkt unter Rückforderung ihres Stimmzettels in eine "Ja-Stimme" und eine "Enthaltung"abändern. Unter Berücksichtigung der geänderten Stimmen wurde dann vom Verwalter auch ein Beschlussantrag als angenommen verkündet (da nunmehr mehr als 2/3 der Eigentümer für den Beschlussantrag gestimmt hätten).
  2. Die erfolgte Beschlussanfechtung wurde in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht und gegen die Meinung des Berufungsgerichts vom BGH in der Revision bestätigt.
  3. Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stimmabgabe widerrufen werden kann, wird in Literatur und Rechtsprechung bisher unterschiedlich beantwortet. Nach überwiegender Auffassung kommt ein Widerruf einer abgegebenen Stimme (Willenserklärung) gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nur bis zu ihrem Zugang beim Versammlungsleiter in Betracht. Nach anderer Auffassung ist der Widerruf einer solchen Einzelerklärung jedenfalls bis zur Abgabe der letzten Stimme in der Versammlung möglich, da bis dahin der Abstimmungsvorgang noch nicht beendet sei. Nach weiterer Meinung kann eine Stimmabgabe bis zur Feststellung und Verkündung des Beschlusses widerrufen werden, da im Beschluss erst mit der Feststellung durch den Verwalter und an alle Eigentümer gerichtete Mitteilung des Beschlussergebnisses zustande kommt. Vor Mitteilung bestehe noch keine endgültige Bindung an einzelne Stimmabgaben.
  4. Der Senat folgt der Auffassung der zuerst genannten h.M. unter Hinweis auf § 130 Abs. 1 BGB analog. Danach wird eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und bindet den Erklärenden (§ 145 Abs. 1 BGB), weshalb ein Widerruf danach ausscheidet. Im Grundstücks-Übertragungsrecht mag dies anders sein, um leichtfertige Verfügungen über Grundstücksrechte zu verhindern.
  5. Ließe man im Wohnungseigentumsrecht einen Widerruf der Stimmabgabe bis zur Verkündung eines Beschlussergebnisses zu, könnte die Feststellung eines Abstimmungsergebnisses insbesondere in großen Gemeinschaften erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht werden; dies gilt insbesondere dann, wenn etwa ein Versammlungsleiter bereits mit der Zählung der Stimmen begonnen hat und hier bereits gezählte Stimmen vor Erledigung der Zählung widerrufen werden könnten. Daher muss es einen Zeitpunkt geben, ab dem ein Versammlungsleiter damit beginnen kann, das Beschlussergebnis verbindlich festzustellen; dies ist der Zeitpunkt des Zugangs der jeweiligen Stimmen beim Versammlungsleiter.
  6. Die Angelegenheit musste hier zu korrekter Ermittlung des Abstimmungsergebnisses unter Berücksichtigung der Meinung des Senats an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil v. 13.7.2012, V ZR 254/11

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge