Bekanntlich richtet sich die Antwort auf die Frage nach der Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit eines Beschlusses, der auf Grundlage des Gesetzes gefasst werden soll, danach, ob den Wohnungseigentümern eine entsprechende Beschlusskompetenz eingeräumt ist und wie weit diese Kompetenz reicht. Werden die Grenzen der eingeräumten Beschlusskompetenz eingehalten, ist ein auf Grundlage der entsprechenden gesetzlichen Norm gefasster Beschluss grundsätzlich nur anfechtbar (so freilich der Beschluss nicht an Nichtigkeitsgründen leidet, die nichts mit der Frage der Beschlusskompetenz zu tun haben, wie beispielsweise die bewusste Nichteinladung von Wohnungseigentümern, ein unbestimmter Beschlussinhalt oder ein in sich widersprüchlicher Beschlusswortlaut).

Wie aber erkennt der Leser des Gesetzestextes, wie weit die den Wohnungseigentümern eingeräumte Kompetenz zur Beschlussfassung tatsächlich reicht und ein darüber hinaus gehender Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig wäre? Zu unterscheiden sind insoweit die Wörter "dürfen" und "können".[1]

 
Praxis-Beispiel

Beschlusskompetenz eingeräumt

Die Neuregelung in § 20 Abs. 4 WEG n. F. sieht auszugsweise Folgendes vor: "Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen … werden ..."

Das Wort "dürfen" verdeutlicht, dass den Wohnungseigentümern eine Beschlusskompetenz eingeräumt ist, auch wenn die weiteren Einschränkungen überschritten bzw. missachtet werden, die letztlich die Grenzen billigen Ermessens oder auch ordnungsmäßiger Verwaltung im Rahmen einer Beschlussanfechtung aufzeigen. Auch dann, wenn also ein Beschluss über eine Maßnahme der baulichen Veränderung einzelne Wohnungseigentümer unbillig benachteiligt, ist er lediglich anfechtbar.

 
Praxis-Beispiel

Keine Beschlusskompetenz eingeräumt

Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG n. F. "können" die Wohnungseigentümer "für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine von § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG n. F. oder von einer Vereinbarung abweichende Verteilung beschließen".

Mit dem Wort "können" wird die Grenze der Beschlusskompetenz definiert. Übertragen auf eine Kostenverteilungsänderung, kann also nur eine solche beschlossen werden, die sich auf einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten bezieht. Eine darüber hinausgehende Änderung des Kostenverteilungsschlüssels hätte die Beschlussnichtigkeit zur Folge. Würden die Wohnungseigentümer also den geltenden Kostenverteilungsschlüssel grundsätzlich abändern, wäre der Beschluss nichtig.

Den Wohnungseigentümern ist zwar in beiden Fällen eine Beschlusskompetenz eingeräumt, wird diese aber überschritten, führt dies im Fall des "Könnens" zur Beschlussnichtigkeit und im Fall des "Dürfens" nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.

 
Praxis-Beispiel

Verwalterbestellung

Ein weiteres anschauliches Beispiel stellt die Modifizierung in § 26 Abs. 2 Satz 1 WEG n. F. bezüglich der Verwalterbestellung dar. Durch Ersetzen des Wortes "dürfen" im bisherigen Gesetzestext durch das Wort "können", trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass eine Verwalterbestellung über die jeweilige gesetzlich mögliche Höchstdauer der Bestellung zur Teilnichtigkeit des Bestellungsbeschlusses führt, was längst gefestigter Rechtsprechung entspricht.

 

Teilnichtigkeit auch bei Beiratsbestellung

Da in § 29 Abs. 1 Satz 1 WEG n. F. Wohnungseigentümer zu Mitgliedern des Verwaltungsbeirats bestellt werden "können", führt die Wahl und Bestellung eines Nichteigentümers nicht mehr nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses, sondern unter Geltung des WEMoG zur Beschlussnichtigkeit. Insoweit wird sich die Rechtslage ändern, da bislang lediglich von einer Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Bestellung eines Nichtwohnungseigentümers zum Verwaltungsbeirat ausgegangen wurde.

[1] Vgl. BT-Drs. 19/18791, S. 66, 71 und 74.

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