Begriff

BGB § 574

Maßgeblicher Zeitpunkt für die nach wirksamem Widerspruch des Mieters gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Interessen von Vermieter und Mieter sowie der sich anschließenden Beurteilung, ob bzw. für welchen Zeitraum das durch wirksame ordentliche Kündigung nach § 573 BGB beendete Mietverhältnis nach § 574a BGB fortzusetzen ist, ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz.

(amtlicher Leitsatz des BGH)

Das Problem

Zwischen den Parteien besteht ein Mietvertrag über eine Doppelhaushälfte. Die Vermieterin hat das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt. Zur Begründung ist in dem Kündigungsschreiben ausgeführt, dass sie – die Vermieterin – derzeit in einer kleinen Wohnung lebe. Sie sei auf das Haus angewiesen, weil sie nur dort ihre betagte Großmutter pflegen könne. Nach Ablauf der Kündigungsfrist ist die Großmutter verstorben. Gleichwohl hat die Vermieterin Räumungsklage erhoben.

Die Mieterin leidet an diversen Krankheiten; im Hinblick hierauf hat sie der Kündigung widersprochen. Sie beantragt, das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Der BGH hatte u. a. zu entscheiden, ob und ggf. auf welche Weise der Tod der Großmutter in dem Räumungsverfahren zu berücksichtigen ist.

Die Entscheidung

In der Grundsatzentscheidung vom 9.11.2006 (BGHZ 165 S. 75 = NZM 2006 S. 50) hat der BGH ausgeführt, dass der Wegfall der für den Eigenbedarf maßgeblichen Umstände nur dann zu berücksichtigen ist, wenn der Grund vor dem Ablauf der Kündigungsfrist entfällt; nur in diesem Fall ist der Vermieter zu einer entsprechenden Mitteilung an den Mieter verpflichtet. Das BVerfG hat entschieden, dass diese Rechtsauffassung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (BVerfG, NZM 2006 S. 459). An dieser Rechtsprechung hält der BGH fest. Daraus folgt zunächst, dass die Kündigung wirksam ist.

Hat der Mieter Kündigungswiderspruch erhoben, so sind die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses (hier: die Erkrankung) gegen die Interessen des Vermieters für die Eigennutzung gegeneinander abzuwägen. Auch hier stellt sich die Frage, ob ein früher bestehendes Nutzungsinteresse (hier: die Pflege der Großmutter) weiterhin zugunsten des Vermieters zu berücksichtigen ist. Dies wird vom BGH verneint. Maßgeblicher Grund hierfür ist die Erwägung, dass die Interessenabwägung entsprechend dem Sach- und Streitstand der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat (§ 574 BGB). Im Entscheidungsfall kann dies dazu führen, dass die Abwägung ein überwiegendes Interesse des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses ergibt.

BGH, Urteil v. 22.5.2019, VIII ZR 167/17

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