Leitsatz

Der Lebenssachverhalt, auf den die Anfechtungsklage gestützt wird, muss sich in seinem wesentlichen Kern aus den innerhalb der Frist eingegangenen Schriftsätzen selbst ergeben.

 

Normenkette

WEG § 46 Abs. 1 Satz 2

 

Das Problem

  1. In der Gemeinschaftsordnung heißt es wie folgt:

    „§ 4 Lasten und Kosten: 1. (…) Jeder Wohnungseigentümer trägt außerdem die Kosten der Instandhaltung und -setzung sämtlicher Gebäudeteile, Anlagen und Einrichtungen des Gemeinschaftseigentums allein, an denen er den Alleinbesitz hat. Dazu zählen z.B. Balkone, Dachterrassen und Loggien, Außenfenster, Wohnungsabschlusstür, Rollläden, Leitungen, Heizkörper samt Thermostatventilen, Heiz- und Warmwassermessgeräten, soweit diese nicht ohnedies Sondereigentum sind. (…)

    § 10 Öffnungsklausel: Die Wohnungseigentümer sind berechtigt, die bestehende Gemeinschaftsordnung, spätere Vereinbarungen einschließlich etwaiger Sondernutzungsrechte und abdingbare gesetzliche Bestimmungen durch Beschluss mit einer Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer auch ohne sachlichen Grund zu ändern (…).”

  2. Im Jahre 2014 beschließen die Wohnungseigentümer – es gilt Wertstimmrecht – mit 56.711 MEA von 100.000 MEA zum Tagesordnungspunkt (TOP) 9 wie folgt:

    "Unter Bezugnahme auf § 4 Pkt. 1 der Gemeinschaftsordnung wird vereinbart, dass die Eigentümer die Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten an oder auf den Balkonen, Terrassen und Loggien tragen, davon ausgenommen sind die konstruktiven sowie die abdichtenden Bestandteile."

    Gegen den Beschluss wendet sich Wohnungseigentümer K. Das Amtsgericht weist die Klage ab. Das Landgericht weist die Berufung des K nach vorangegangenem Hinweis durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. K erhebt daraufhin eine Anhörungsrüge. Das Landgericht hält diese für begründet, setzt das Verfahren fort, weist allerdings die Berufung erneut zurück. K habe die Klage nicht innerhalb der Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG auf das Fehlen der in der Öffnungsklausel (§ 10 TE) vorgesehenen Mehrheit von 3/4 der stimmberechtigten Wohnungseigentümer gestützt. Die Klage sei zunächst nur damit begründet worden, die Gemeinschaftsordnung könne nur einstimmig geändert werden. K habe zur Öffnungsklausel und deren Voraussetzungen erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG vorgetragen. Daran ändere es nichts, dass die beklagten Wohnungseigentümer innerhalb der Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG auf die Öffnungsklausel verwiesen hätten. Der Beschluss sei auch nicht nichtig. Das Verfehlen der aufgrund einer vereinbarten Öffnungsklausel erforderlichen Mehrheit führe im Zweifel nur zur Anfechtbarkeit des gefassten Beschlusses. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt K ihre im Berufungsrechtszug gestellten Anträge weiter.

 

Die Entscheidung

Zulässigkeit der Revision

  1. Das Landgericht habe das Verfahren aufgrund der von K erhobenen Anhörungsrüge rechtsfehlerfrei fortgesetzt und die Revision wirksam zugelassen. Eine Anhörungsrüge könne zwar nur dann zu einer wirksamen Zulassung der Revision führen, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt werde und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung der Revision ergebe.
  2. So liege es aber auch. Das Berufungsgericht hätte bei seiner Entscheidungsfindung K's Schriftsatz vom 16.6.2015 berücksichtigen müssen. In diesem habe sich K auf BGH v. 12.12.2014, V ZR 53/14, NZM 2015 S. 218 Rn. 16 berufen, in dem der Senat von einer Entscheidung der "umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht entschiedenen" Rechtsfrage der Nichtigkeit eines Beschlusses, mit dem von einer vereinbarten Öffnungsklausel ohne das erforderliche Quorum Gebrauch gemacht wird, abgesehen habe. Da das Berufungsgericht die Anfechtungsfrist als nicht gewahrt angesehen habe, sei diese Rechtsfrage von seinem Standpunkt aus entscheidungserheblich gewesen.

Begründetheit der Revision

  1. Die Revision sei auch begründet. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, die Klage sei nicht innerhalb der Klagebegründungsfrist auf das Nichterreichen des in der Öffnungsklausel vorgeschriebenen Quorums gestützt worden. Die in § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG geregelte Frist zur Begründung der Klage solle bewirken, dass für die Wohnungseigentümer und für den zur Ausführung von Beschlüssen berufenen Verwalter zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber bestehe, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. Vor diesem Hintergrund sei es unerlässlich, dass sich der Lebenssachverhalt, auf den die Anfechtungsklage gestützt werde, zumindest in seinem wesentlichen Kern aus den innerhalb der Frist eingegangenen Schriftsätzen selbst ergebe.
  2. So liege es aber auch. Aus Sicht des Senats sprächen die besseren Argumente dafür, dass die Frage, ob der in der Klageschrift geschilderte Lebenssachverhalt auch das Erreichen der qualifizierten Mehrheit gemäß § 10 der Gemeins...

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