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Bereits im römischen Recht war der Gedanke einer Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers verankert.[15] Im Wege der Anfechtungsklage konnten die nächsten Angehörigen gegen das sie beschränkende Testament vorgehen ("Querela inofficiosi testamenti")[16] Die Klage war unzulässig, wenn dem Angehörigen wenigstens die "Quota legittima", also ¼ des Nachlasses hinterlassen war.[17] Dabei richtete sich die Klage nicht wirklich auf den Pflichtteil, sondern gegen die Gültigkeit des Testaments,[18] da das römische Recht davon ausging, dass ein Erblasser, der seine nächsten Angehörigen übergangen hatte, nicht "gesunden Geistes" gewesen sei.[19] Im germanischen Recht bestand für den Erblasser ursprünglich gar keine Möglichkeit, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten,[20] daher gab es auch kein mit dem Pflichtteilsrecht vergleichbares Institut. Der Nachlass wurde ausschließlich innerhalb der Familie vererbt. Erst im Zuge der Christianisierung wurde dem Erblasser ein sog. "Freiteil" ("pro salute animae") zugestanden, über den er ohne Zustimmung der Angehörigen verfügen konnte.[21] Diese beiden Strömungen prägten die Rechtswirklichkeit in Deutschland vor dem Inkrafttreten des BGB. Die meisten in Deutschland geltenden Rechtsordnungen kannten damals eine Art Pflichtteilsrecht,[22] das überwiegend als reiner Geldanspruch des Enterbten ausgestaltet war.[23] Die Übernahme des in den Partikularrechten allg. anerkannten Pflichtteilsrechts in das BGB war nicht unumstritten (z.T. wurde eine existenzbedrohende Belastung des Handwerker- und Bauernstandes mit zu hohen Abfindungen befürchtet),[24] wurde jedoch von einer großen Mehrheit unterstützt.[25] Durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 sowie das Nichtehelichengesetz von 1969 erfuhr das Pflichtteilsrecht einige Umgestaltungen. Weitere Vorstöße zu einer Reform[26] verebbten ohne nennenswerte Auswirkungen. Lediglich im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurde in Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB die Anwendbarkeit des ZGB-Pflichtteilsrechts für einige Fälle verankert.[27] Weniger gravierende Auswirkungen auf das Pflichtteilsrecht hatten auch das Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder,[28] das u.a. die Streichung des § 2338a BGB mit sich brachte, sowie das Nichtehelichengleichstellungsgesetz. Durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften vom 22.2.2001[29] wurde außerdem der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen um den eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartner erweitert. Weitere Änderungen ergaben sich aus dem Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (Erbrechtsreform 2010; vgl. hierzu Rdn 15 ff.).[30]

[15] Kipp/Coing, § 8 I 1; Gerken, Rpfleger 1989, 45, 47.
[16] Vgl. RGZ 6, 247, 248; Kipp/Coing, § 8 I 1.
[17] Vgl. v. Lübtow, I, S. 554.
[18] RGZ 6, 247, 249.
[19] Mertens, S. 83.
[20] Kipp/Coing, § 8 I 2; Kick, S. 169; Heitmeier, S. 14 ff.
[21] Kick, S. 170; Heitmeier, S. 18; Gerken, Rpfleger 1989, 45, 47.
[22] Mot. V, S. 382; Otte, ZEV 1994, 193; Kick, S. 170.
[23] Staudinger/Haas [2006], Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn 7; Staudinger/Otte [2015], Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn 9.
[24] Vgl. Bruns u. Meyersburger, Verh., 14. DJT/1878, S. 172 ff. u. 50 ff.; Stöcker, WM 1979, 214, 221.
[25] Mot. V, S. 382; Staudinger/Haas [2006], Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn 8.
[26] Vgl. BT-Prot. v. 14.5.1969, 1318 A u. 13025 C sowie Berger/Marko/Orth, NJ 1990, 384 ff.; Marko, ZRP 1995, 240; Kick, S. 170; Trittel, DNotZ 1991, 237, 246; Bosch, FamRZ 1992, 993, 999 f.
[27] Staudinger/Haas [2006], Vorbem. zu §§ 2303 ff. Rn 10.
[28] ErbGleichG v. 16.12.1997, BT-Drucks 1997 I, S. 2968.
[29] BGBl I 2001, 266.
[30] BGBl I 2009, 3142 f.

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