Rz. 961

Für ausländische Familienstiftungen greift die Erbersatzsteuer nicht. Doch auch hier gibt es eine steuerlich ungünstige Sonderregel: Für Zwecke der Einkommensteuer erfolgt ein Durchgriff auf den hinter der Familienstiftung stehenden Stifter oder die Bezugs- oder Anfallsberechtigten (§ 15 AStG). Anders als bei der inländischen Familienstiftung erfolgt eine Besteuerung der Destinatäre der ausländischen Familienstiftung nicht erst im Zeitpunkt der Stiftungsausschüttung, sondern auch, wenn die Familienstiftung ihre Einkünfte thesauriert.

Sofern der Stifter unbeschränkt steuerpflichtig ist, wird ihm für seine Einkommensteuer das Einkommen, das der ausländischen Familienstiftung während des entsprechenden Veranlagungszeitraums zugeflossen ist, unmittelbar zugerechnet.[1486] Ist nicht der Stifter, aber ein Bezugs- oder Anfallberechtiger unbeschränkt steuerpflichtig, so erfolgt die Zurechnung an diesen entsprechend seiner Anteile (vgl. § 15 Abs. 1 AStG). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bezieht sich die Zurechnung entsprechend dem Gesetzeswortlaut auf das – nach den Vorschriften für juristische Personen ermittelte – Einkommen der Stiftung, nicht auf die in ihm enthaltenen Einkünfte.[1487]

 

Rz. 962

Von der Durchgriffsregelung betroffen sind ausländische Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte begünstigt sind (§ 15 Abs. 2 AStG). Entsprechendes gilt auch für ausländische Unternehmensstiftungen, bei denen eine Begünstigung zu mehr als der Hälfte für den Stifter, seine Gesellschafter, von ihm abhängige Gesellschafter, Mitglieder, Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte und Angehörige dieser Personen besteht (§ 15 Abs. 3 AStG). Sofern § 15 Abs. 2 AStG nach seinem Wortlaut voraussetzt, dass der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge gleichzeitig bezugs- oder anfallsberechtigt sind, handelt es sich dabei um ein Redaktionsversehen.[1488] Es ist ausreichend, wenn die Bezugs- oder Anfallsberechtigten einer dieser Gruppen angehören.

 

Rz. 963

Auch wenn der Bundesfinanzhof § 15 AStG für verfassungskonform erachtet,[1489] werden gegen die Norm im Schrifttum regelmäßig verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Kritisiert werden vor allem die mangelnde Bestimmtheit und Durchsetzbarkeit der Vorschrift sowie die ungleiche Behandlung von Stiftern, Bezugs- und Anfallsberechtigten ausländischer Familienstiftungen im Vergleich zu solchen von inländischen Familienstiftungen.[1490]

Den mit Blick auf die europäischen Grundfreiheiten bestehenden Bedenken gegen die Durchgriffsbesteuerung[1491] ist der Gesetzgeber durch Einfügung des § 15 Abs. 6 AStG zum 1.1.2009 begegnet. Danach sind Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Staat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums, mit dem ein Amtshilfeabkommen auf dem Gebiet der Steuern besteht, von der Regelung des § 15 Abs. 1 AStG auszunehmen, wenn nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen dem Stifter und den Begünstigten tatsächlich und rechtlich entzogen ist.[1492] Ob diese Regelung ihrerseits europarechtskonform ist, ist angesichts der den Steuerpflichtigen auferlegten Beweislast zweifelhaft.[1493]

 

Rz. 964

Der Begriff des Stifters wird in § 15 AStG nicht definiert. Nichtsdestotrotz herrscht Einigkeit darüber, dass sich seine Beurteilung an den tatsächlichen, wirtschaftlichen Verhältnissen zu orientieren hat. Ein Abstellen allein auf den formalen Akt des Unterzeichnens der Stiftungsurkunde würde nämlich Umgehungsmöglichkeiten eröffnen und dem Sinn und Zweck des § 15 AStG, Steuerflucht und Steuervermeidung entgegenzuwirken, widersprechen.[1494] In diesem Sinne beurteilt der Bundesfinanzhof als Stifter die Person, für deren Rechnung das Stiftungsgeschäft abgeschlossen worden ist, oder die in der Art des Stifters Vermögen auf die Stiftung überträgt bzw. der das Stiftungsgeschäft bei wirtschaftlicher Betrachtung zuzurechnen ist.[1495] Konsequenz dieser Rechtsauffassung ist, dass die Durchgriffsbesteuerung beim inländischen Steuerpflichtigen nicht durch Zwischenschaltung von Gesellschaften oder Familienstiftungen umgangen werden kann.[1496]

 

Rz. 965

Eine Zentralfrage im Rahmen des § 15 Abs. 1 AStG ist die Auslegung des Begriffs des Anfalls- bzw. Bezugsberechtigten.[1497] Sie soll jedenfalls dann gegeben sein, wenn der Anfalls- oder Bezugsberechtigte einen Anspruch auf die Leistung hat. Ob Anfalls- oder Bezugsberechtigungen auch ohne einen Anspruch auf die Stiftungsleistung bestehen können, war hingegen umstritten.

Die Finanzverwaltung vertritt insofern eine weite Auffassung, nach der eine Person nicht nur dann bezugs- bzw. anfallsberechtigt ist, wenn sie nach der Satzung der Familienstiftung Leistungen der Stiftung rechtlich verlangen kann, sondern auch dann, wenn sie den Erhalt solcher Leistungen tatsächlich bewirken kann.[1498] Teilweise wurde sogar angenommen, eine Anfallsberechtigung bestehe bereits dann, wenn die Umstände dafür sprechen, dass bei typischem Geschehensablauf das Stiftungsvermögen d...

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