Rechtskraft nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Einschreiten. Straßenverkehrsbehörde. Haltverbot. Zufahrt. Anlieger. Anliegerrecht. Individualinteresse. verkehrsrechtlicher Anordnungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Klagebefugnis von Straßenanliegern, die zum Schutz einer von parkenden oder haltenden Fahrzeugen unbehinderten Zufahrt zu ihrem Anwesen durch die Straße mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und zum Schutz einer unbehinderten Benutzung ihrer Grundstücksein- und ausfahrt die Anordnung eines Haltverbots in der Straße begehren.

2. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gewährt dem Einzelnen ein – auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung begrenztes – subjektiv-öffentliches Recht auf ein verkehrsregelndes Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde, wenn öffentlich-rechtlich geschützte Individualinteressen durch Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen, verletzt werden.

3. Dieses Recht besteht nicht, wenn eine in den örtlichen Verhältnissen begründete konkrete Beeinträchtigung des geschützten Individualinteresses, die das im Straßenverkehr allgemein bestehende Gefahren- und Belästigungsrisiko erheblich übersteigt, nicht vorliegt.

4. Zur Frage, inwieweit das Interesse eines Straßenanliegers an einer unbehinderten Zufahrt zu seinem Grundstück öffentlich-rechtlich geschützt ist.

 

Normenkette

GG Art. 14 Abs. 1; StrG § 15; StVO § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 3, § 45 Abs. 1 S. 1; VwGO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

VG Sigmaringen (Urteil vom 14.02.2000; Aktenzeichen 6 K 1852/98)

 

Nachgehend

BVerwG (Beschluss vom 24.06.2002; Aktenzeichen 3 B 87.02)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. Februar 2000 – 6 K 1852/98 – geändert.

Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wirtschaftsgebäude bebauten Grundstücks Flst.Nr. 71/1 auf Gemarkung Trailfingen und Inhaber eines dort ausgeübten landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebes. Das Grundstück grenzt an die im Ortskern von Trailfingen, einem dörflich geprägten Ortsteil der Stadt Münsingen, gelegene Thinggasse. Die Thinggasse zweigt mit ihrem südlichen Ast von der Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße ab, verschwenkt beim landwirtschaftlichen Anwesen der Kläger in einer Rechtskurve Richtung Osten und mündet mit ihrem östlichen Ast wieder in die Ortsdurchfahrt der Kreisstraße ein. Die Zufahrt zum Grundstück der Kläger liegt an der Außenseite der genannten Rechtskurve der Thinggasse. In sie kann über den südlichen Ast der Thinggasse geradeaus und über den östlichen Ast der Thinggasse im rechten Winkel eingefahren werden. Die Kläger fahren mit ihren landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen eigenen Angaben zufolge überwiegend durch den schmaleren östlichen Ast der Thinggasse. Dieser wird im Norden von einer Friedhofsmauer und im Süden von bebauten Wohngrundstücken begrenzt, auf denen unmittelbar neben der öffentlichen Verkehrsfläche private Stellplätze angelegt sind. Die dort abgestellten Fahrzeuge nehmen häufig einen Teil der öffentlichen Verkehrsfläche in Anspruch.

Erstmals Ende Oktober 1986 machten die Kläger gegenüber der Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts Reutlingen geltend, dass in der Thinggasse zunehmend Fahrzeuge so geparkt würden, dass die verbleibende Fahrbahnfläche für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu schmal sei. Außerdem werde die Ausfahrt aus ihrem landwirtschaftlichen Anwesen durch parkende Fahrzeuge beeinträchtigt. Das Polizeirevier Münsingen stellte bei einer Überprüfung keine Verkehrsbehinderungen fest. In den folgenden Jahren wandten sich die Kläger mit ihrem Anliegen erneut mehrfach an das Landratsamt und das Regierungspräsidium Tübingen. Die Behörden sahen jedoch nach wie vor keine Veranlassung zu einem Einschreiten, wobei sie unter anderem darauf hinwiesen, dass im östlichen Ast der Thinggasse wegen der geringen Fahrbahnbreite ohnehin das Verbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO bestehe, an engen und unübersichtlichen Straßenstellen zu halten. Mit Schreiben an das Regierungspräsidium Tübingen vom 30.04.1996 beantragten die Kläger eine rechtsmittelfähige Entscheidung über die Anordnung eines durchgängigen Haltverbots in der Thinggasse. Das Regierungspräsidium leitete den Antrag an das Landratsamt weiter, das über diesen zunächst nicht entschied.

Im August 1996 erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Untätigkeitsklage (Az.: 6 K 63/97). Das Verwaltungsgericht stellte bei einem Augenschein fest, dass die Thinggasse im östlichen Ast 4 bis 4,5 m und im südlichen Ast 5,55 m breit ist, dass die Durchfahrtsbreite der Einfahrt auf dem Grundstück der Kläger an der schmalsten Stelle 3,1 m beträgt und dass die auf dem Anwesen der Kläger vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge einschließlich überhängender Ladung (Strohballen) 2 bis 3 m breit sind. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12.11.1997 verpflichte...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge