Entscheidungsstichwort (Thema)

Sexualstraftaten. Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen aus präventiven Gründen

 

Leitsatz (amtlich)

Die allgemeine kriminalistische Erfahrung, dass bei Sexualstraftaten eine neigungsbedingte Wiederholungsgefahr besteht, reicht für sich genommen für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht aus. Hinzukommen muss, dass sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles in tatsächlicher Hinsicht ein Verdacht einer entsprechenden sexuellen Neigung belegen lässt.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; StGB §§ 184, 184b; StPO § 81b Alt. 2, § 153 Abs. 1; SPolG § 30 Abs. 2, § 38 Abs. 2 Nr. 1

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 16.06.2008 rechtswidrig gewesen ist.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Aufgrund einer Strafanzeige am 22.03.2007 wurde gegen den Kläger ein staatsanwaltschaftliches Verfahren (Aktenzeichen 24 Js 441/07) wegen des Verdachts der Verbreitung von Kinderpornografie geführt. Im Zuge von Ermittlungen gegen eine dritte Person war bekannt geworden, dass dem Kläger unter einem AOL- mail-account am 20.05.2004 eine e-mail mit pornografischen Dateien zugesandt worden war. Zumindest eine dieser Dateien war als möglicherweise kinderpornografisch eingeordnet worden. Am 10.06.2008 wurde eine Hausdurchsuchung beim Kläger durchgeführt. Dabei gab der Kläger zu, Inhaber von verschiedenen AOL-mail-accounts zu sein. Bei der Durchsuchung wurden ein PC-Tower, mehrere CD-ROMs, mehrere DVDs und eine Speicherkarte sichergestellt. Diese wurden zunächst kriminalpolizeilich ausgewertet und später auf eine entsprechende staatsanwaltschaftliche Verfügung hin einer externen Firma zwecks eingehender Begutachtung des auf den Datenträgern vorhandenen bzw. früher vorhandenen Datenmaterials übergeben.

Noch vor dieser eingehenden Begutachtung ordnete die Beklagte am 16.06.2008 die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers gemäß § 81b 2. Alt. StPO an und lud ihn zur Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, Aufnahme von Lichtbildern, Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale und zu Messungen vor. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich sei. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen sei der Kläger auf Grund objektiver Beweismittel überführt, den Tatbestand des § 184b StGB verwirklicht zu haben, weil ihm am 20.05.2004 eine e-mail mit sowohl erwachsenenpornografischen als auch mit kinderpornografischen Dateianhängen zugesandt worden sei. Er sei Mitglied des diesbezüglichen Verteilerkreises gewesen. Der Sofortvollzug sei gerechtfertigt, weil die Maßnahme notwendig sei. Dies orientiere sich an der kriminalistischen Erfahrung. Gerade im Bereich von Sexualstraftaten seien bei Tätern oft schwere Persönlichkeitsmängel festzustellen, die weitere Taten ähnlicher Art befürchten ließen. So sei nach empirisch geführten Studien aus den USA und auch des Bundeskriminalamts festzustellen, dass 30 % der Tatverdächtigen/Beschuldigten in Verfahren wegen des Besitzes/Verbreitens von Kinderpornografie auch selbst sexuelle Missbräuche begingen. Bei dem Kreis der Opfer, die auf kinderpornografischen Bilddateien abgebildet seien, handele es sich um wehrlose Kinder, die besonders zu schützen seien. Der Kläger habe keine Angaben zum Geschehen gemacht, so dass keine Gründe erkennbar seien, die eine Negativ-Prognose hinsichtlich der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten zuließen. Die Aufklärung von Straftaten der in Rede stehenden Art sei ohne erkennungsdienstliche Unterlagen erschwert. Ein eventueller Aufschub der erkennungsdienstlichen Behandlung infolge der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs führe während der Zeit des Verwaltungsverfahrens dazu, dass bei gleichgelagerten Delikten eine im öffentlichen Interesse schnelle Beweisführung zur Be- oder auch Entlastung des Betroffenen mangels vorhandener erkennungsdienstlicher Unterlagen nicht durchgeführt werden könne.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Gleichzeitig beantragte er bei Gericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Mit Beschluss vom 30. Juni 2008, – Az.: 6 L 578/08 –, wurde dieser Antrag zurückgewiesen. Das Gericht stufte die Verfügung der Beklagten vom 16.06.2008 zwar nicht als offensichtlich rechtmäßig ein, entschied aber letztlich aufgrund einer allgemeinen Güter- und Interessensabwägung. Diese fiel zu Lasten des Klägers aus, weil die Folgen einer zu Unrecht vorgenommenen erkennungsdienstlich...

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