Leitsatz

Führt der klagende Wohnungseigentümer in der Berufung einen unstreitigen Anfechtungsgrund ein, ist dieser Anfechtungsgrund dennoch nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG präkludiert.

 

Normenkette

§ 46 Abs. 1 WEG

 

Das Problem

Wohnungseigentümer W geht gegen den Beschluss vor, mit dem die Wohnungseigentümer die Anbringung eines Handlaufs beschlossen haben. Wegen W's Bedenken und seiner Anfechtungsklage wird ein einklappbarer Handlauf eingebaut. Im Berufungsverfahren macht W erstmals gegen den Beschluss geltend, dass die für den Einbau des Handlaufs seiner Ansicht nach gemäß § 22 Abs. 2 WEG erforderliche 3/4-Mehrheit nicht erreicht sei – was unstreitig ist.

 

Entscheidung

Ohne Erfolg! Es könne dahinstehen, ob nun § 22 Abs. 2 WEG mit dem Erfordernis einer 3/4-Mehrheit einschlägig sei oder ob § 22 Abs. 1 WEG mit dem Erfordernis einer einfachen Mehrheit die einschlägige Norm darstelle. Denn W könne nicht damit durchdringen, die 3/4-Mehrheit sei nicht erreicht. Mit diesem Einwand wäre er präkludiert. § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG sehe eine materiell-rechtliche Präklusionsfrist von 2 Monaten zur Begründung der Anfechtungsklage vor. Diese Frist habe W nicht eingehalten. Er trage erstmalig in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz zum Quorum vor.

 

Kommentar

Anmerkung:

  1. Im Berufungsverfahren sind unstreitige Tatsachen zu berücksichtigen. Das Bremer Landgericht sieht dies mit Blick auf § 46 Abs. 1 WEG vertretbar anders. Denn danach war die unstreitige Tatsache bereits nach dem ungenützten Ablauf der Begründungsfrist nach herrschender Meinung ausgeschlossen.
  2. Die Entscheidung könnte Anlass sein, darüber nachzudenken, ob die Wohnungseigentümer über die Begründungsfrist "verfügen" können. Kann es zum Beispiel Wohnungseigentümern verwehrt werden, über einen Anfechtungsgrund eine Entscheidung herbeizuführen, nur weil der Kläger den Grund zu spät benannt hat?

Was ist für den Verwalter wichtig?

  1. Die prozessualen Fragen dürften für die meisten Verwalter von keinem vorrangigen Interesse sein. Der Einbau eines Handlaufs sollte es schon. Maßnahmen für beeinträchtigte Wohnungseigentümer sind von großer Bedeutung. Angesichts der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft werden die Fragen, die sich um solche Maßnahmen ranken, zunehmen. Jeder Verwalter sollte sich daher mit ihnen vertraut machen.
  2. Zum Ausgangspunkt für sein Denken und die Problemlage macht man sich am besten die mietrechtliche Vorschrift des § 554a BGB. Diese lautet wie folgt:

    (1) Der Mieter kann vom Vermieter die Zustimmung zu baulichen Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder den Zugang zu ihr erforderlich sind, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Der Vermieter kann seine Zustimmung verweigern, wenn sein Interesse an der unveränderten Erhaltung der Mietsache oder des Gebäudes das Interesse des Mieters an einer behindertengerechten Nutzung der Mietsache überwiegt. Dabei sind auch die berechtigten Interessen anderer Mieter in dem Gebäude zu berücksichtigen.

    (2) Der Vermieter kann seine Zustimmung von der Leistung einer angemessenen zusätzlichen Sicherheit für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes abhängig machen. § 551 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

    ...

    § 554a BGB zeigt, dass ein beeinträchtigter Mieter bauliche Veränderungen verlangen kann, wenn er ein berechtigtes, überwiegendes Interesse daran hat. Im Wohnungseigentumsrecht gilt nichts anderes. Sowohl ein Wohnungseigentümer für sich selbst als auch ein vermietender Wohnungseigentümer kann mithin eine bauliche Veränderung verlangen, wenn sein Interesse daran das Interesse der anderen Wohnungseigentümer überwiegt. Ist es so, kann ein Wohnungseigentümer etwa einen Handlauf, eine Rollstuhlrampe, aber auch einen Aufzug verlangen.

  3. Wichtig ist, dass wohl auch im Wohnungseigentumsrecht analog § 554a Abs. 2 Satz 1 WEG eine Sicherheit verlangt werden kann. Diese ist meines Erachtens eine Zahlung an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, die in der Instandhaltungsrückstellung zu führen ist. Die Einzelheiten sollten vertraglich geregelt werden und dem Beschluss nach § 22 Abs. 1 WEG zugrunde liegen.
 

Link zur Entscheidung

LG Bremen, Urteil vom 20.12.2013, 4 S 245/12

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