Leitsatz

  1. Ein Gericht kann einem am selbstständigen Beweisverfahren nicht beteiligten Dritten (etwa einem anderen Eigentümer oder auch der Gemeinschaft) nicht aufgeben, eine Bauteilöffnung in seiner Wohnung zum Zweck der Beweissicherung und Überprüfung von antragstellerseits behaupteten Mängeln am Gemeinschaftseigentum zu dulden
  2. Zum Begriff "Wohnung" in diesem Sinn gehören auch eine im Gemeinschaftseigentum stehende Außentreppe, ein Fahrradkeller und eine Tiefgarage
 

Normenkette

§§ 144 Abs. 1 Satz 3, 492 Abs. 1 ZPO; Art. 13 GG

 

Kommentar

  1. Antragstellende Miteigentümer führten ein selbstständiges Beweisverfahren primär gegen den Bauträgerverkäufer und den planenden sowie bauleitenden Architekten wegen festzustellender anfänglicher Baumängel an der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz. Der vom Gericht bestellte Sachverständige erachtete für umfassende sachverständige Feststellungen Bauteilöffnungen am Gemeinschaftseigentum für notwendig. Mit Zwischenurteil ordnete das Landgericht für sämtliche Eigentümer und auch für die Eigentümergemeinschaft die Duldung von fachmännisch durchzuführenden Bauteilöffnungen an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des Fahrradkellers und der Tiefgaragendecke an. Eine am Beweisverfahren nicht beteiligte Wohnungseigentümerin (Rechtsbeschwerdegegnerin zu 3) und auch die Gemeinschaft (Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4) legten gegen das Zwischenurteil Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht das Zwischenurteil aufgehoben und den Antrag auf Duldung der Bauteilöffnung abgelehnt. Auch die insoweit zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsteller hatte keinen Erfolg.
  2. Der BGH als Rechtsbeschwerdegericht verneinte ebenfalls eine Duldungspflicht sachverständiger Begutachtung unter Hinweis auf § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Der Wohnungsbegriff hat sich insoweit nach der Gesetzesbegründung am Wohnungsbegriff des Art. 13 GG zu orientieren. Danach ist der Wohnungsbegriff umfassend zu verstehen und betrifft die gesamte räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Entscheidend ist auch nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ob jeweilige Räume oder Flächen für private Zwecke gewidmet und der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich sind. Rechtsträger des Grundrechts von Art. 13 GG sind auch juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen des Privatrechts, somit auch die Gemeinschaft als Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4. im Rahmen der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums nach § 10 Abs. 6 WEG. Somit sind Eingriffe in Räume und Bauteile des Gemeinschaftseigentums einer Duldungsanordnung entzogen. Außen- wie auch Innenbereich des Gemeinschaftseigentums sind damit über Art. 13 GG geschützt. Diesem Ergebnis kann auch nicht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109 S. 279, 313) hinsichtlich akustischer Überwachungsmaßnahmen entgegengehalten werden.

    Damit kann auch dahinstehen, ob und inwieweit § 144 ZPO über § 492 Abs. 1 ZPO Anwendung findet (vgl. KG, Beschluss v. 10.4.2013, 9 W 94/12) und ggf. eine Grundlage für substanzielle Eingriffe in das Eigentum Dritter bildet.

    Des Weiteren kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Beschluss gegen den Willen eines Eigentümers ergehen kann, ohne dass darüber die Wohnungseigentümergemeinschaft befunden hat.

Anmerkung

§ 144 Abs. 1 ZPO lautet:

"Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist."

§ 492 Abs. 1 ZPO lautet:

"Die Beweisaufnahme erfolgt nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels überhaupt geltenden Vorschriften."

Art. 13 Abs. 1 GG lautet:

"Die Wohnung ist unverletzlich."

Das Entscheidungsergebnis in Auslegung des § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO und Art. 13 GG überzeugt mich jedenfalls nicht und entspricht wohl auch nicht der Dogmatik des Wohnungseigentumsrechts in getroffener Gesetzesauslegung. Vorliegend ging es nicht um Begutachtungen innerhalb eines Wohnungssondereigentums, sondern um gemeinschaftliche Bauteile, die ideell anteilig allen Eigentümern gehören. Jeder Eigentümer besitzt insoweit auch erworbene Gewährleistungsansprüche, die er großteils auch individuell verfolgen kann. Hierzu zählt die Führung eines selbstständigen Beweisverfahrens. Müssen nun vom Sachverständigen zwecks Mängelfeststellungen Bauteile im Bereich des Gemeinschaftseigentums geöffnet werden, ist auch nach WEG-Geboten zunächst die Gemeinschaft mit einer Beschlussentscheidung auf Zustimmung zu befassen, kann ein solches Vorschaltverfahren nicht ausnahmsweise wegen reiner Förmelei und Zeitverzögerung entbehrlich sein. § 21 Abs. 8 WEG kennt nunmehr auch bekanntlich die Zulässigkeit gerichtlicher Gestaltungs-Ermessensentscheidungen. Hat ein Gericht Duldu...

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