Leitsatz

§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 14 des JStG 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, S. 1250) ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit die Vorschrift Fälle der fortlaufend verlängerten Abordnung ("Kettenabordnung") erfasst, und unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, soweit sie für beiderseits berufstätige Ehegatten Geltung beansprucht.

 

Sachverhalt

Das BVerfG hat zwei Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Beschwerdeführer zu 1. ist Universitätsprofessor (U), seine Ehefrau ist selbständige Redakteurin und Lektorin; die Eheleute leben seit 1980 in Frankfurt/Main, wo sie auch ihren Hauptwohnsitz haben. Zum 1.3.1994 wechselte U von der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität an die Humboldt-Universität in Berlin, wo er am 1.5.1994 ein Zwei-Zimmer-Appartement bezog. Seine Ehefrau übte ihre ortsgebundene berufliche Tätigkeit weiter in Frankfurt am Main aus. U beantragte bei der Lohnsteuerermäßigung 1996, seinen Aufwand für die doppelte Haushaltsführung auch über einen Zeitraumvon zwei Jahren hinaus steuerlich zu berücksichtigen.

Der Beschwerdeführer zu 2. ist Beamter (B). Seine Beschäftigungsbehörde ist das Polizeipräsidium Koblenz. Vom 1.4.1992 bis 30.6.1999 war B auf Grund fortlaufend verlängerter Abordnungen beim Polizeipräsidium Berlin tätig und führte in Berlin einen zweiten Haushalt. Umzugskostenvergütung wurde dem B vom Dienstherrn nicht zugesagt. Für das Jahr 1997 wurde ihm unversteuert ein Trennungsgeld von 16997,25 DM ausgezahlt. Das Finanzamt legte im ESt-Bescheid 1997 der Besteuerung zusätzliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe des für das Jahr 1997 steuerfrei gezahlten Trennungsgeldes zugrunde.

 

Entscheidung

Beide Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet.

1. Die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ist traditioneller Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst "am Werkstor" beginnen zu lassen. Auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt. Danach gehören vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen der privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat mitveranlasst sind. Ähnliches gilt etwa für die Kosten beruflich veranlasster auswärtiger Übernachtungen, vor allem aber auch für die beruflich begründete doppelte Haushaltsführung: Auch wenn die Begründung des zweiten Haushalts am Arbeitsort im Wesentlichen beruflich veranlasst sein mag, so ist doch die Entscheidung, zusätzlich den alten Hausstand als Wohnsitz beizubehalten, aus der Sicht des Steuerpflichtigen in aller Regel der Privatsphäre zuzuordnen.

Wenn der Gesetzgeber angesichts dieses Ausgangsbefundes den Abzug von Mehraufwand wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung grundsätzlich auf einen Zeitraumvon zwei Jahren begrenzt, so bietet zwar die Begründung einen im Ansatz sachlich einleuchtenden Rechtfertigungsgrund: "Aus Gründen der steuerlichen Leistungsfähigkeit" sei es vertretbar, "wenn bestimmte Mehraufwendungen für eine angemessene Übergangszeit zum Abzug zugelassen" würden; den Mehraufwand einer doppelten Haushaltsführung zeitlich unbegrenzt als beruflich veranlasst anzusehen, sei jedoch eine "Fiktion, die nicht weiter fortgeführt werden sollte".

Diese Erwägung, wonach die private Entscheidung für die Beibehaltung des alten Wohnsitzes nach Ablauf einer Übergangsfrist als entscheidender privater Veranlassungsgrund für eine doppelte Haushaltsführung anzusehen und deshalb der entsprechende Mehraufwand nicht einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen sei, erweist sich jedoch für die zu beurteilenden Fallgruppen der "Kettenabordnung" und der an verschiedenen Orten beiderseits berufstätigen Ehegatten als nicht hinreichend tragfähig.

2. Die Verfassungsbeschwerde des B hat Erfolg, weil die streitige Abzugsbegrenzung jedenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer "Kettenabordnung" mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. In dieser Fallkonstellation sind weder die Zweijahresfrist selbst noch der Umstand, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Anwendung der Zweijahresfrist zwischen einer Beschäftigung amselben Ort und einer Beschäftigung an wechselnden Orten differenziert, sachlich nachvollziehbar; beides führt nicht zu einer hinreichend folgerichtigen Bestimmung und Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Die "Kettenabordnung" zeichnet sich durch eine überwiegend nach Belangen des Arbeitgebers oder Dienstherrn bestimmte Dauer oder Verlängerung der Tätigkeit des Arbeitnehmers an einem fremden Beschäftigungsort aus. Deshalb sind keine wesentlichen Unterschiede gegenüber einer nur zweijähri...

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