Häufig wird in der Frage um die mögliche Betreuung von Kindern lediglich die einander gegenüberstehenden Möglichkeiten der Einrichtung eines Residenzmodells, also der ganz überwiegenden Betreuung durch einen Elternteil und eines Wechselmodells, der paritätischen, der zeitlich – nahezu – exakt gleichen Betreuung durch beide Elternteile diskutiert. Das in der Literatur zusätzlich gern besprochene sog. Nestmodell[1], die abwechselnde Betreuung des Kindes in derselben Wohnung, spielt dagegen eigentlich nur in der Theorie eine Rolle.

Unbeachtet bleibt, dass viele Eltern ein exakt hälftig aufgeteiltes Betreuungsmodell aus den unterschiedlichen Gründen nicht leben können und wollen, sehr wohl aber eine Aufteilung der Betreuungszeiten mit Anteilen von z. B. 60 : 40 oder 70 : 30 vornehmen. Diese Betreuungsmodelle stellen nach bisheriger Rechtsprechung ein sog. Residenzmodell dar mit den entsprechenden Folgen namentlich für die Frage des Kindesunterhalts, der von demjenigen zu leisten ist, der die geringere Betreuungsquote aufweist.[2] Für die überwiegende Betreuung und damit für die Klassifizierung als sog. Residenzmodell, so heißt es in der Rechtsprechung, genüge es sogar, "dass der Anteil eines Elternteils an der Betreuung den Anteil des anderen geringfügig übersteigt."[3]

Dies sind nicht nachvollziehbare Anforderungen, die in der Praxis zur Einstufung eines jeden Betreuungsmodells der Eltern zum Residenzmodell führen. Es gibt immer irgendwelche Aufgaben und besondere Betreuungssituationen, die zusätzlich auftreten und deshalb die für ein Wechselmodell geforderten exakt gleichen Zeiten aufheben.

Es ist daher notwendig, sich vom Residenzmodell und Wechselmodell als Gegensatzpaar zu lösen und die unterschiedlichen zeitlichen Betreuungsformen nicht nur als private elterliche Vereinbarung zu akzeptieren. Als Lebensmodell mit wechselnder Betreuung durch beide Eltern muss jedes Betreuungsmodell bezeichnet werden, das zu einem zeitweiligen, über Besuche hinausgehenden Aufenthalt des Kindes bei beiden Elternteilen führt. Die Grenze wird man bei einer Betreuung unterhalb von 30 % setzen müssen. In solchen Fällen handelt es sich, so der BGH, um "großzügigen Besuchskontakt"[4]

Letztlich wird man drei unterschiedliche Betreuungsfälle unterscheiden müssen, wobei in Grenzbereichen die Bewertung des konkreten Einzelfalls erforderlich ist:

  • Die Betreuung im sog. Residenzmodell, bei dem der mit dem Kind nicht überwiegend zusammenlebende Elternteil mit einem Anteil zwischen 0 % und ca. 22 % an der Betreuung beteiligt sein wird;
  • Die alternierende (quasiparitätische) Betreuung, bei der die Eltern die Betreuungszeiten aufteilen, aber eine der Elternteile noch überwiegend die Betreuung übernimmt, mithin zwischen ca. 30 % und 45 %;
  • Die (paritätische) Betreuung im Wechselmodell, bei der nach den Anforderungen der Rechtsprechung eine – zumindest fast – gleiche Betreuungszeit praktiziert wird, also zwischen 48 % und 52 %.[5]

Es ist notwendig, solche unterschiedlichen Betreuungsmodelle auch gegen den Willen eines Elternteils anordnen zu können, wenn dies unter dem ausschließlich zu beachtenden Aspekt des Kindeswohls die richtige Lösung darstellt.

[1] Völker/Clausius, FamRMandat § 1 Rn. 319.
[2] So schon BGH, FamRZ 2006, 1015 mit Anm. Luthin; vgl. auch BGH, FamRZ 2014, 917, 918.
[3] OLG Düsseldorf, FamRZ 2001, 1235.
[4] BGH 2006, 1015 m. Anm. Luthin; zu Wechselmodell und Kindesunterhalt vgl. Spangenberg, FamRZ 2014, 88.
[5] BGH, FamRZ 2017, 532; vgl. dazu die Stellungnahme des DFGT durch Coester v. 9.3.2017, FamRZ 2017, 581.

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