Leitsatz

  1. Winterdienstpflichten der Gemeinschaft auf dem Gehweg (kraft gemeindlicher Satzung) können von dieser auch auf Dritte übertragen werden
  2. Insoweit hat die Gemeinschaft Drittbeauftragte sorgfältig auszuwählen, gründliche Anweisungen über Streupflichten zu treffen und korrekte Arbeitsausführung zu überwachen
  3. Bei einem beauftragten und zwischenzeitlich 82-jährigen Rentner ist im Rahmen der Überwachungsverpflichtung eine kritische Überprüfung geboten, ob diese Auftragsperson altersbedingt noch hinreichend leistungsfähig ist, um Räum- und Streupflichten sicher und zuverlässig nachzukommen
  4. Mangels ausreichender Überwachung/Überprüfung haftet die Gemeinschaft für die Folgen eines Sturzes einer Person auf nicht geräumter Fläche
  5. Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der gestürzten Person ist von einer Haftungsquote 60:40 zulasten der Gemeinschaft auszugehen
 

Normenkette

§ 10 Abs. 6 WEG; § 823 Abs. 1 BGB

 

Kommentar

  1. Von der Klägerin (der Unfallversicherung der auf Glatteis des Gehwegs gestürzten Person) wurden aus übergegangenem Recht (vgl. §§ 116 SGB X, 823 Abs. 1 BGB) Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Eigentümergemeinschaft geltend gemacht, die der Senat mit einer Quote von 60 % bestätigte. Die Gemeinschaft ist insoweit nach heutigen Grundsätzen des § 10 Abs. 6 WEG auch hinsichtlich der Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten einschließlich ihr obliegender Überwachungs- und Kontrollpflichten passivlegitimiert. Zur Verkehrssicherungspflicht gehören insbesondere auch im Winter entsprechende Räum- und Streupflichten bei gefährlicher Glätte. Nach Satzung der Gemeinde wurden hier Pflichten auf Gehwegen auf die Anlieger abgewälzt und der Zeitpunkt für eine Pflichterledigung auf 8 Uhr festgelegt. Der Unfall mit schweren Verletzungsfolgen erfolgte am 28.1.2010 bei Schneefall und vorhandener Glätte gegen 10.20 Uhr auf dem Gehweg der Wohnungseigentumsanlage. Dieser war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geräumt und gestreut. Der langjährig von der Gemeinschaft durch Vertrag mit dem Verwalter beauftragte Rentner konnte am Unfalltag vormittags nicht arbeiten, da er sich in seiner Wohnung um einen Rohrbruch kümmern musste.
  2. Bei beauftragten Hilfspersonen ist sorgfältige Auswahl, gründliche Anweisung über die Art des Streuens und insbesondere auch eine Überwachung erforderlich (h.M.). Verpflichtet hierzu war vorliegend die Wohnungseigentümergemeinschaft, die sich insoweit auch nicht auf die beauftragte Verwaltung verlassen konnte und durfte. Bekannt war in der Gemeinschaft auch, dass der Vertrag zwischen Gemeinschaft und Rentner zustande gekommen war. Primär überwachungsverpflichtet war die Gemeinschaft, die ihre Pflichten bei einem über 80-jährigen Beauftragten intensiver als geschehen hätte vornehmen müssen. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass es bereits vor und nach dem Unfall zu Eigentümerbeschwerden nach Zeugenaussagen gekommen sei. Umso mehr hätte es einer "engmaschigen", durchgehenden Überwachung des Beauftragten bedurft.
  3. Vorhandenes pflichtwidriges Verhalten der Verwaltung muss sich insoweit eine beklagte Gemeinschaft nach den für Organe geltenden Grundsätzen auch im Deliktsrecht entsprechend §§ 31, 89 BGB zurechnen lassen (u.a. Wenzel, ZWE 2009, S. 57, 62). Vorliegend war von einer Kausalität verletzter Überwachungsverpflichtung für die hier eingetretenen Unfallschäden auszugehen. Es hätte noch verschiedene Möglichkeiten gegeben, rechtzeitig für die Gefahrbeseitigung zu sorgen (etwa auch durch Vertreterbeauftragung).
  4. Allerdings war von einer Mitverschuldensquote des Unfallgeschädigten in Höhe von 40 % auszugehen, da vieles dafür sprach, dass Verletzungen auf seine mangelhafte Aufmerksamkeit und Vorsicht zurückzuführen waren (vgl. auch OLG München, VersR 2003 S. 518 und OLG Hamm, NJW 2013 S. 1375; vgl. auch BGH, MDR 2013 S. 970 Rn. 19, 24). Für den Geschädigten war vorliegend erkennbar, dass der Gehweg bisher nicht von Schnee geräumt und mit abstumpfenden Mitteln behandelt worden war.
  5. Schadensersatzleistungen sind insoweit auf den Unfallversicherer des Geschädigten übergegangen; Unfallversicherungsschutz bestand, da der Geschädigte zum Zeitpunkt des Unfalls als Empfänger von Arbeitslosengeld II auf dem Weg zu einem Termin bei dem für ihn zuständigen Sachbearbeiter im Job-Center war und insoweit entsprechender Wegeunfall vorlag.
  6. Der Höhe nach ging es um Ersatz von Heilbehandlungskosten und damit verbundenen Nebenkosten, Verletztengeld und darauf bezogene Sozialbeiträge sowie Erwerbsschäden nach § 842 BGB. Ein Erwerbsschaden ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Geschädigte bereits vor dem Unfall schwerbehindert gewesen ist und auch nicht in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis von der Arbeitsverwaltung vermittelt werden konnte. Ersatzfähig waren auch Reha-Kosten. Reha-Maßnahmen wurden dem Geschädigten seinerzeit unstreitig durch die behandelnden Ärzte angeraten.
  7. Von der Schadenssumme waren unstreitig die vom Haftpflichtversicherer der beklagten Gemeinschaft bereits erbrachten Zahlungen abzuzieh...

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