Leitsatz

Zentrales Problem dieser Entscheidung war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Übertragung der elterlichen Sorge auf den nichtehelichen Vater nach dem Tod der Kindesmutter in Betracht kommt.

 

Sachverhalt

Nach dem Tod der allein sorgeberechtigten Mutter hatte das AG die Schwester der Kindesmutter zum Vormund des 12 Jahre alten Sohnes der Verstorbenen bestellt. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des zu Lebzeiten der Mutter nicht sorgeberechtigten nichtehelichen Vaters.

Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Das OLG bestätigte die Entscheidung des AG, das mit zutreffender Begründung die Tante des Kindes zum Vormund bestellt habe. Es gebe keinen Zweifel daran, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater nicht dem Kindeswohl diene (§ 1680 Abs. 2 S. 2 BGB).

Die Voraussetzungen des § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach das Familiengericht nach dem Tode der allein sorgeberechtigten nichtehelichen Mutter das Sorgerecht nur dann auf den Vater zu übertragen habe, wenn dies dem Wohl des Kindes diene, seien nicht erfüllt. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater dem ernsthaft und eindeutig geäußerten Willen des zum Zeitpunkt der Entscheidung 12 Jahre alten Sohnes widerspreche. Zwar sei nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Sorgerechtsentscheidung das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zu beachten. Dieses sei aber gegen die Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuwägen. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte sei jedoch zu berücksichtigen, dass im Bereich des Art. 6 Abs. 2 des GG das Wohl des Kindes immer das entscheidende Kriterium bilde, so dass dieses bei Interessenkonflikten zwischen dem Kind und seinen Eltern letztendlich bestimmend sein müsse, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nehme und es daher unmittelbar betreffe (vgl. BVerfGE 37, 217; 55, 171). Habe der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringeres Gewicht, weil das Kind noch nicht in der Lage sei, sich einen eigenen Willen zu bilden, so komme ihm mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit des Kindes vermehrte Bedeutung zu (vgl. BVerfG 2007, 105; BVerfG FamRZ 2007, 1078; BVerfG FamRZ 2008, 1737). Das Wohl des inzwischen 12 1/2-jährigen Sohnes würde erheblich gefährdet, wenn sein ernsthaft geäußerter Wille bei der Sorgerechtsentscheidung übergangen würde. Das Kind sei durch den Tod seiner Mutter ohnehin stark belastet. Sein Vater habe daher den Wunsch seines Sohnes, im Haushalt seiner Tante weiterzuleben und dort zur Ruhe zu kommen, zu respektieren.

Die Einsetzung der Antragstellerin als Vormund sei nicht zu beanstanden. Die Auswahl entspreche dem testamentarischen Willen der verstorbenen Kindesmutter und dem geäußerten Wunsch des Kindes.

 

Hinweis

Bei § 1680 Abs. 2 BGB sind zwei Anwendungsfälle zu differenzieren:

Dem bislang nicht sorgeberechtigten nichtehelichen Vater soll das Sorgerecht nach dem Tod der Mutter nur dann zu übertragen sein, wenn positive Auswirkungen der Sorgerechtsübertragung auf das Kindeswohl feststehen.

Andererseits soll der nach Trennung oder Scheidung nicht mehr sorgeberechtigte eheliche Vater das Sorgerecht bereits dann erhalten können, wenn negative Auswirkungen auf das Kindeswohl nicht zu befürchten sind.

Diese Differenzierung würde sich bei strikter Anwendung des Gesetzeswortlauts wie eine Beweislastregel zu Lasten des nichtehelichen Vaters auswirken.

Aus diesen Gründen wird in der Literatur die vorgenannte Differenzierung aus verfassungsrechtlichen Gründen dahingehend nivelliert, dass auch dem nichtehelichen Vater die elterliche Sorge schon dann zu übertragen ist, wenn dies dem Wohle des Kindes nicht widerspricht.

Eine klare Haltung der Rechtsprechung steht hierzu noch aus.

 

Link zur Entscheidung

OLG Köln, Beschluss vom 09.01.2012, II-4 UF 229/11

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