1 Allgemeines

 

Rz. 1

Schwerbehinderte Menschen haben gem. § 208 SGB IX Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Günstigere landesrechtliche, tarifliche, betriebliche oder vertragliche Bestimmungen bleiben unberührt.

Ziel des Zusatzurlaubs ist es, die aufgrund der Behinderung unter Umständen eingeschränkte oder gefährdete Arbeitskraft zu sichern und zu erhalten.[1] Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer seine Arbeitskraft schneller verbraucht als ein gesunder. Auf eine aufgrund der Behinderung konkret bestehende besondere Erholungsbedürftigkeit kommt es allerdings nicht an. Der Anspruch auf zusätzlichen Urlaub besteht unabhängig vom individuellen Erholungsbedürfnis. Das Erholungsbedürfnis des schwerbehinderten Menschen wird im Rahmen des § 208 SGB IX – ebenso wie beim Anspruch auf den Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) – gesetzlich unwiderleglich vermutet (BAG, Urteil v. 21.2.1995, 9 AZR 166/94 zu § 125 SGB IX a. F.[2]).

[1] ErfK/Rolfs, 22. Aufl. 2022 § 208 SGB IX, Rz. 1.
[2] NZA 1995, 839.

2 Anspruchsberechtigte

2.1 Schwerbehinderte Menschen

 

Rz. 2

Anspruchsberechtigt sind schwerbehinderte Menschen i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX, d. h. Personen, deren Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt. Ob die jeweilige Person auf einem Arbeitsplatz i. S. v. § 156 SGB IX beschäftigt wird und ob die Einstellung im Rahmen der Pflichtquote oder darüber hinaus erfolgte, ist gleichgültig. Entscheidend ist die objektive Schwerbehinderung. Insoweit spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung wusste oder ob die Pflichtzahl bei der Einstellung von Schwerbehinderten schon erfüllt ist.

Eine förmliche Anerkennung ist dabei nicht erforderlich, der Anspruch entsteht kraft Gesetzes.[1] D. h. auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch die zuständige Behörde kommt es für den Anspruch nicht an. Der Feststellungsbescheid (§ 152 SGB IX) hat lediglich deklaratorische Bedeutung (BAG, Urteil v. 13.6.1991, 8 AZR 360/90). Dabei ist § 208 SGB IX keine spezifisch arbeitsrechtliche Vorschrift. Anspruch auf den gesetzlichen Zusatzurlaub haben deshalb alle schwerbehinderten Menschen, die als Beschäftigte Anspruch auf Erholungsurlaub haben. Erfasst werden mithin nicht nur schwerbehinderte Arbeitnehmer, sondern auch die schwerbehinderten Menschen, die in einem öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehen, z. B. Beamte, Soldaten oder Richter (so zum gleich lautenden § 125 SGB IX a. F. BAG, Urteil v. 26.10.2006, 9 AZR 669/05[2]) oder schwerbehinderte Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 22.7.2007, 5 Sa 1861/06) und schwerbehinderte Auszubildende. Anspruchsberechtigt sind auch schwerbehinderte arbeitnehmerähnliche Selbstständige, denn diese haben nach § 2 BUrlG auch Anspruch auf den gesetzlichen (Mindest-)Urlaub.[3]

Ein-Euro-Jobber (§ 16d SGB II), denen "Arbeitsgelegenheiten" zugewiesen sind, haben lediglich Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Zwischen ihnen und dem Betriebsinhaber besteht kein Arbeitsverhältnis (§ 16d Abs. 7 Satz 2 SGB II). Das BUrlG ist auf sie zwar anwendbar, die Regelungen über das Urlaubsentgelt sind aber ausdrücklich ausgenommen (§ 16d Abs. 7 Satz 2 2. Halbsatz SGB II).

[1] So auch ErfK/Rolfs, 22. Aufl. 2022, § 208 SGB IX, Rz. 1.
[2] NZA 2007, 330, 332.
[3] S. hierzu Tillmanns, § 2 BUrlG, Rz. 21 ff.

2.2 Gleichgestellte

 

Rz. 3

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen Menschen mit Behinderung mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Vorausgesetzt, sie können infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten (gleichgestellte behinderte Menschen). Für gleichgestellte behinderte Menschen gelten die Vorschriften über den Zusatzurlaub nicht. Die Verweisungsvorschrift des § 151 Abs. 3 SGB IX nimmt § 208 SGB IX ausdrücklich aus. Gleichgestellte haben also keinen gesetzlichen Anspruch auf den Zusatzurlaub (BAG, Urteil v. 22.7.2021, 2 AZR 193/21, Rz. 11; BAG, Urteil v. 11.6.2020, 2 AZR 442/19, Rz. 18[1]).

[1] Dau/Düwell/Joussen-Düwell, SGB IX, 6. Aufl. 2021, § 208 SGB IX, Rz. 9.

2.3 Geltendmachung des Anspruchs

 

Rz. 4

Auch wenn der Anspruch beim Vorliegen einer objektiven Schwerbehinderung bereits gegeben ist, so muss der Anspruch auf Zusatzurlaub dennoch gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich geltend gemacht werden (BAG, Urteil v. 28.1.1982, 6 AZR 636/79) und zwar während des Urlaubsjahres oder bei Vorliegen der tarifvertraglichen oder gesetzlichen Übertragungsvoraussetzungen bis zum Ende des Übertragungszeitraums. Ansonsten geht er mit Ablauf des Urlaubsjahres bzw. mit Ablauf des Übertragungszeitraums unter. Beruft sich der Arbeitnehmer daher erst in einem späteren Urlaubsjahr auf seine Schwerbehinderung und ihm noch aus der Vergangenheit zustehenden Zusatzurlaub, muss der Arbeitgeber diesen Urlaub nicht mehr gewähren.

 
Hinweis

Auf die Feststellung der Eigenschaft als s...

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