1 Vorbemerkung

 

Rz. 1

Durch die Vorschrift des §§ 86 BetrVG können durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ergänzende Regelungen zum Beschwerdeverfahren nach den §§ 84, 85 BetrVG geschaffen werden. Nach § 86 Satz. 1 BetrVG können so die Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens geregelt werden. Über § 86 Satz 2 BetrVG wird in Fällen des § 85 Abs. 2 BetrVG die Möglichkeit gewährt, statt der Einigungsstelle eine betriebliche Beschwerdestelle zu schaffen. Mit § 86 BetrVG wird der Zweck verfolgt, das gesetzliche Beschwerdeverfahren den betrieblichen Bedürfnissen so weit als möglich anzupassen.[1] In der Praxis gewann die Vorschrift bislang aber noch keine große Bedeutung, was sich auch an der fehlenden Rechtsprechung zeigt.[2] Dies mag bedauerlich erscheinen, bietet die Vorschrift doch die Möglichkeit zur Schaffung alternativer Konfliktlösungsmittel im Betrieb, allerdings könnte eine allzu formalisierte Beschwerderegelung dem notwendigen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber eher abträglich sein.[3]

[1] BT-Drucks. VI/1786 S. 48; GK-BetrVG/Wiese, § 86 BetrVG Rz. 2.
[2] Richardi/Thüsing, § 86 BetrVG Rz. 1
[3] So Richardi/Thüsing, § 86 BetrVG Rz. 1.

2 Regelung der Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens

 

Rz. 2

§ 86 Satz 1 BetrVG lässt die Regelung der Einzelheiten des in den §§ 84, 85 BetrVG geregelten Beschwerdeverfahrens durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zu. Dies kann sich insbesondere auf Zuständigkeits-, Verfahrens-, Form- und Fristenfragen beziehen. So können etwa Regelungen über die für die Beschwerdeeinreichung zuständige Stelle (z. B. Einsetzung eines Beschwerdebeauftragten), Verfahrensschritte, die Errichtung eines betrieblichen Instanzenzugs, die Besetzung und Geschäftsordnung der Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 BetrVG, die Einschaltung externer Dienstleister/Vermittler (z. B. Mediator), Formen und Fristen für die Erhebung, Behandlung und Bescheidung der Beschwerden und Anhörung der Beteiligten[1] erfolgen.

 

Rz. 3

Es kann auch ein betrieblicher Instanzenzug für die Behandlung von Beschwerden geschaffen werden, dabei kann eine Reihenfolge, in der individuelles (§ 84 BetrVG) und kollektives (§ 85 BetrVG) Beschwerdeverfahren stehen, bestimmt werden.[2] Allerdings darf es nicht zu einer Einschränkung des Beschwerderechts des einzelnen Arbeitnehmers sowie der Kompetenz der Einigungsstelle kommen.[3] Dem Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten bleiben, das individuelle oder kollektive Beschwerdeverfahren zu wählen, wobei er auch beide Beschwerdeverfahren gleichzeitig einleiten kann. Entgegenstehende Regelungen sind unzulässig. Auch kann durch kollektive Vereinbarungen das Recht des Arbeitnehmers, sich mit dem Inhalt seiner Beschwerde an außergerichtliche Stellen zu wenden, nicht beschränkt werden.[4]

 

Rz. 4

Da sich die durch § 86 BetrVG eingeräumte Regelungsmacht nur auf die "Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens" erstreckt, dürfen nur ausgestaltende Regelungen getroffen werden, so dass die Zuständigkeitsordnung des § 85 Abs. 2 BetrVG nicht geändert werden darf. Dem Betriebsrat ist es ferner verwehrt, sich der ihm gesetzlich durch die §§ 84, 85 BetrVG zugedachten Aufgaben zu entledigen, indem er diese auf eine andere Institution, etwa einen Konfliktbeauftragten oder eine Konfliktkommission, überträgt (LAG Hamburg, Beschluss v. 15.7.1998, 5 TaBV 4/98[5]). Nicht zulässig ist es, die Durchführung des betrieblichen Beschwerdeweges zur Wirksamkeitsvoraussetzung für eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch den Arbeitnehmer zu machen.[6]

[1] Fitting, § 86 BetrVG Rz. 3; ErfK/Kania, § 86 BetrVG Rz. 1; GK-BetrVG/Wiese, § 86 BetrVG Rz. 5; Wolmerath/Esser, AiB 1999, 75, 79.
[2] Fitting, § 86 BetrVG Rz. 1; a. A. GK-BetrVG/Wiese, § 86 BetrVG Rz. 6.
[3] Richardi/Thüsing, § 86 BetrVG Rz. 2.
[4] GK-BetrVG/Franzen § 86 BetrVG Rz. 3.
[5] NZA 1998, 1245.
[6] ErfK/Kania, § 86 BetrVG Rz. 1; GK-BetrVG/Wiese, § 86 BetrVG Rz. 3; vgl. auch BAG, Urteil v. 12.12.2006, 1 AZR 96/06, NZA 2007, 453, 455 ff.

2.1 Tarifvertragliche Regelungen

 

Rz. 5

Voraussetzung ist, dass der Betrieb in den fachlichen und örtlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages fällt, der Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens regelt. Da es sich bei den tarifvertraglichen Regelungen über das Beschwerdeverfahren um Tarifnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen handelt, die gemäß § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe gelten, genügt für die Anwendbarkeit des Tarifvertrages die Tarifbindung des Arbeitgebers. Die tariflichen Regelungen gelten dann für alle Arbeitnehmer im persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags, ohne dass es auf deren Tarifbindung ankäme.[1]

[1] Fitting, § 86 BetrVG Rz. 1; Richardi/Thüsing, § 86 BetrVG Rz. 6; GK-BetrVG/Wiese, § 86 BetrVG Rz. 1; zu einer tariflichen Regelung nach § 86 BetrVG Pickshaus, AiB 1992, 672 ff.

2.2 Betriebsvereinbarung

 

Rz. 6

Es ist es zunächst der Vorrang des Tarifvertrages zu beachten, so dass eine Betriebsvereinbarung ausgeschlossen ist, soweit ein Tarifvertrag das Beschwerdeverfahren abschließend regelt. Aufgrund des Rangprinzips schließt der Tarifvertrag als die höherrangige Regelung eine Betriebsvereinbarung al...

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