Beeinträchtigungen als solche, die aus der nachbarlichen Tierhaltung resultieren, sind nicht schon deshalb abwehrbar, weil sie mit der Nase oder dem Ohr sinnlich wahrnehmbar sind. Sie sind es vielmehr erst dann, wenn sie wesentlich im Sinn des § 906 BGB sind.

Die Frage nach der Wesentlichkeit ist einerseits eine ganz entscheidende Fragestellung, weil nicht jede "vermeintliche" Belästigung durch die nachbarliche Tierhaltung untersagt werden kann, sondern nur eine solche, die als wesentlich zu qualifizieren ist. Zum anderen handelt es sich um eine äußerst schwierige Fragestellung, weil der Begriff der Wesentlichkeit keine festen Konturen besitzt und einen weiten Auslegungsspielraum zulässt: Was der eine für wesentlich hält, kann für den anderen, der das Leben leicht nimmt, durchaus unwesentlich sein.

Grenz- und Richtwerte

Wegen dieser Problematik hat der Gesetzgeber im Jahr 1994 eine Konkretisierung dieses Begriffs in § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB dahingehend vorgenommen, dass "eine (nur) unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel (dann) vorliegt, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegte Grenz-oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 BImSchG erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben".

Mit dieser Gesetzesergänzung hat der Gesetzgeber eine Brücke vom Zivilrecht zum öffentlichen Immissionsschutzrecht geschlagen, in dem es langer Tradition entspricht, den dortigen Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen" in § 3 Abs. 1 BImSchG (= wesentliche Beeinträchtigungen nach § 906 BGB) durch sog. Regelwerke wie die TA Lärm oder die TA Luft zu konkretisieren. In diesen Regelwerken wird die Wesentlichkeits- bzw. Schädlichkeitsschwelle durch sog. Richt- oder Grenzwerte für den Regelfall markiert.

Durch § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB wird einerseits zum Ausdruck gebracht, dass das, was als "schädliche Umwelteinwirkung" nach öffentlichem Recht zu qualifizieren ist, sich zugleich als "wesentliche Einwirkung" nach Zivilrecht darstellt. Zum anderen wird verdeutlicht, dass das private Nachbarrecht gegen schädliche Umwelteinwirkungen etwa durch Lärm oder Gerüche keinen weitergehenden Schutz vermittelt als das öffentliche Nachbarrecht des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.

Diese Maßgaben gelten aber nicht für die vielen VDI-Richtlinien oder die Empfehlungen anderer sachverständiger Gremien wie etwa des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI). Derartige sachverständige Empfehlungen werden von den Gerichten allenfalls als sog. antizipierte Sachverständigengutachten bei ihren Entscheidungen genutzt.

Außerhalb von Gebäuden

 
Praxis-Beispiel

TA Lärm

Zum Schutz der Nachbarschaft werden etwa in der TA Lärm[1] folgende umgebungsbezogene Immissionsrichtwerte festgelegt:

 
Industriegebiete   70 dB(A)
Gewerbegebiete tagsüber 65 dB(A)
nachts 50 dB(A)
Urbane Gebiete tagsüber 63 dB(A)
nachts 45 dB(A)
Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete tagsüber 60 dB(A)
nachts 45 dB(A)
Allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete tagsüber 55 dB(A)
nachts 40 dB(A)
Reine Wohngebiete tagsüber 50 dB(A)
nachts 35 dB(A)
Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten tagsüber 45 dB(A)
nachts 35 dB(A)

Innerhalb von Gebäuden

Die Immissionswerte für die Geräuschübertragung innerhalb von Gebäuden sind gebietsunabhängig. Sie betragen für die Tageszeit 35 dB(A) und für die Nachtzeit 25 dB(A). Mit dieser Regelung soll der notwendige Schallschutz von Wohnungen bei der Geräuschübertragung innerhalb von Gebäuden sichergestellt werden.

Als Nachtzeit gilt die Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr; sie kann um eine Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden, wenn dies wegen der besonderen örtlichen oder betrieblichen Verhältnisse erforderlich ist.

Werden diese Immissionsrichtwerte überschritten, können von der Nachbarschaft im Regelfall Schutzmaßnahmen nach öffentlichem Recht bzw. eine Unterlassung der Beeinträchtigung nach Zivilrecht verlangt werden.

Wegen der besonderen Charakteristik des Tierlärms, die sich mit dem Gewerbelärm, für den die TA Lärm konzipiert ist, nicht vergleichen lässt, wendet die Rechtsprechung dieses Regelwerk nicht schematisch an, sondern nutzt es nur als Orientierungshilfe.

 
Praxis-Beispiel

Vergleichsbeispiele

Damit Sie sich vorstellen können, wie diese Lärmrichtwerte akustisch wahrgenommen werden, sind sie nachfolgend gewissermaßen "übersetzt":

 
Lärm in dB(A) Vergleichsgeräusche Lärmrichtwerte der TA Lärm
    Gebietsart Werte  
120 Motorsäge      
110 laute Discomusik Industriegebiet tagsüber 70
      nachts 70
100 Presslufthammer Gewerbegebiet tagsüber 65
90 Lastwagen   nachts 50
80 Starker Autoverkehr Mischgebiet u.a. tagsüber 60
      nachts 45
70 Staubsauger allgem. Wohngebiet u.a. tagsüber 55
      nachts 40
60 Pkw bei 50 km/h      
50 Normale Unterhaltung reines Wohngebiet tagsüber 50
      nachts 35
30 Flüstern, Blätterrauschen Kurgebiet u.a. tagsüber 45
      nachts 35
         
20 ...

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