Rz. 6

Trotz der Vielzahl von Gesetzesänderungen: Der Kündigungsschutz steht nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers. Nach der st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist die allgemeine Vertragsfreiheit ein Teil der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit. Damit gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die Privatautonomie.[1] Die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zum Abschluss arbeitsvertraglicher Vereinbarungen ist auch durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.[2] Teilweise wird hinsichtlich der Arbeitsvertragsfreiheit des Arbeitgebers auch Art. 14 GG herangezogen.[3] Das in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes schützt den Einzelnen in seinem Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzugeben.[4] Die Wertungen ändern sich jedoch nicht, wenn zusätzliche Grundrechte mitbenannt werden.

 

Rz. 7

Die Vertragsfreiheit verwirklicht sich regelmäßig dadurch, dass Verträge abgeschlossen werden, in denen sich beide Vertragsteile wechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschränken, und zwar im Austausch mit der vereinbarten Gegenleistung. Auf der Grundlage der Privatautonomie gestalten die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich. Sie bestimmen selbst, wie ihre gegenläufigen Interessen angemessen auszugleichen sind und verfügen damit zugleich über ihre grundrechtlich geschützten Positionen ohne staatlichen Zwang. Der Staat hat die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen grds. zu respektieren.[5]

Die Privatautonomie besteht jedoch nicht grenzenlos, sondern nur im Rahmen der geltenden Gesetze, die ihrerseits an die Grundrechte gebunden sind. Das Grundgesetz hat in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts getroffen. Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu den Prinzipien stehen, die in den Grundrechten zum Ausdruck kommen. Das gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG vor allem für diejenigen Vorschriften des Privatrechts, die zwingendes Recht enthalten und damit der Privatautonomie Schranken setzen.[6]

 

Rz. 8

Wie das BVerfG ausführt, sind solche Schranken unentbehrlich, weil Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, also voraussetzt, dass die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sind. Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Partner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs taugt und dass der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört.[7] Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche Regelungen einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern. Gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, verwirklichen hier die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG).[8]

 

Rz. 9

Für das Kündigungsrecht hat das BVerfG draus gefolgert, dass es für jeden Arbeitnehmer einen Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen geben muss. Als Beispiele dafür werden Diskriminierungen i. S. v. Art. 3 Abs. 3 GG genannt.[9] Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme.[10] Schließlich darf auch ein durch langjährige Mitarbeit verdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben.[11] Diese Ausführungen sind wichtig insbesondere für den Kündigungsschutz aus §§ 138, 242 BGB.[12]

[1] BVerfG, Beschluss v. 12.11.1958, 2 BvL 1/57, NJW 1959, 475; BVerfG, Beschluss v. 13.5.1986, 1 BvR 1542/84, NJW 1986, 1859; BVerfG, Beschluss v. 19.10.1993, 1 BvR 1044/89, AP GG Art. 2 Nr. 35.
[2] S. BVerfG, Beschluss v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84, AP GG Art. 12 Nr. 65.
[3] Vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Scholz, Stand: 100. EGL 2023, Art. 12 GG, Rz. 134, 139 ff.
[4] BVerfG, Urteil v. 24.4.1991, 1 BvR 1341/90, AP GG Art. 12 Nr. 70; BVerfG, Urteil v. 10.3.1992, 1 BvR 1128/91, AP Einigungsvertrag Art. 38 Nr. 1.
[5] Ausdrücklich BVerfG, Beschluss v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84, AP GG Art. 12 Nr. 65.
[6] BVerfG, Urteil v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51, NJW 1958, 257; BVerfG, Beschluss v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84, AP GG Art. 12 Nr. 65.

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