Rz. 20

Für alle Kündigungen, die nach dem 27.1.2005 ausgesprochen werden, kommen die aus der Junk-Entscheidung folgenden Grundsätze zur Anwendung. Finden die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG Anwendung und überschreiten die beabsichtigten Entlassungen den in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellenwert, so hat der Arbeitgeber – neben seinen sonstigen Verpflichtungen aus dem allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzrecht sowie nach dem BetrVG – folgendes Pflichtenprogramm grds. in der folgenden Reihenfolge zu erfüllen[1] (vgl. Rz. 35 ff.):

  • Zunächst hat er das Informations- und Konsultationsverfahren gegenüber dem zuständigen Betriebsrat bzw. der zuständigen Arbeitnehmervertretung nach § 17 Abs. 2 KSchG (i. V. m. Art. 2 MERL) durchzuführen (näher Rz. 88 ff.).
  • Dann hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich nach Maßgabe des § 17 Abs. 3 KSchG anzuzeigen (vgl. Art. 3 MERL; näher Rz. 120 ff.).
  • Erst nach Abschluss des Konsultationsverfahrens und nach ordnungsgemäßer Anzeige kann der Arbeitgeber die Entlassung vornehmen (vgl. Art. 4 MERL, vgl. Rz. 81 ff.).
 
Hinweis

Der Arbeitgeber sollte sowohl die Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG als auch die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 und 3 KSchG (wozu auch die Pflicht des Arbeitgebers gehört, der Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG beizufügen bzw. diese nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG zu ersetzen) sehr ernst nehmen. Die ordnungsgemäße Konsultation und die ordnungsgemäße Anzeige sind 2 getrennt durchzuführende Verfahren, welche nach bisheriger Rechtsprechung des BAG jeweils eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzungen für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung (oder sonst als Entlassung zu wertende Handlung des Arbeitgebers) sind[2] (vgl. Rz. 117 ff., 150 ff.). Sollte die angekündigte Rechtsprechungsänderung umgesetzt werden, ist nur noch die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung für die im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung bzw. sonstige Entlassung (vgl. Rz. 159 ff.). Das bedeutet für Arbeitnehmervertreter, dass sie im Kündigungsschutzprozess Fehler der Konsultationspflicht bzw. des Anzeigeverfahrens gesondert rügen müssen! Zur Vermeidung der Präklusion nach § 6 Satz 1 KSchG ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer bereits in der 1. Instanz Mängel rügt, die sich eindeutig erkennbar dem Verfahren hinsichtlich der Anzeigepflicht und/oder dem Konsultationsverfahren zuordnen lassen.[3] Unterlässt das Arbeitsgericht allerdings den Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG, kann der Arbeitnehmer die Unwirksamkeitsgründe auch noch in 2. Instanz geltend machen.[4]

 

Rz. 21

Das Konsultationsverfahren nach Art. 2 MERL ist als abgeschlossen anzusehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern zumindest schriftlich Auskünfte über die in Art. 2 Abs. lit. b i) bis vi) MERL genannten Punkte gegeben hat und die Arbeitnehmer ausreichend Zeit hatten, konstruktive Vorschläge zur Möglichkeit der Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen sowie zur Milderung ihrer Folgen zu machen (vgl. Art. 2 Abs. 2 und 3 MERL). Das Konsultationsverfahren wird richtlinienkonform in § 17 Abs. 2 KSchG umgesetzt. Demgemäß hat der Arbeitgeber zunächst dem Betriebsrat Auskünfte zu erteilen und schriftlich über die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 Nr. 1 bis 6 KSchG genannten Punkte zu unterrichten. Der Betriebsrat hat dann zwei Wochen Zeit, konstruktive Vorschläge zu machen. Das Konsultationsverfahren ist nicht bereits mit der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Vielmehr wird der Arbeitgeber eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschließende Unterrichtung erbitten und abwarten müssen. Er wird im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen dürfen, wenn entweder die Reaktion des Betriebsrats auf die "finale" und den Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende Unterrichtung des Arbeitgebers nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus Arbeitgebersicht keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet.[5] Eine Einigung mit dem Betriebsrat über die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen (z. B. durch Abschluss eines Interessenausgleichs) und über die Milderung der Folgen (z. B. durch Abschluss eines Sozialplans) vor Erstattung der Anzeige ist ebenso wenig erforderlich wie die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens.[6] (s. auch Rz. 94, 109 ff.).

 

Rz. 22

Gibt der Betriebsrat innerhalb von 2 Wochen nach der Unterrichtung durch den Arbeitgeber keine Stellungnahme ab, kann der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Sätze 3 und 4 KSchG eine wirksame Anzeige erstatten. Erst im Anschluss an die Anzeige ist der Ausspruch von Kündigungen durch den Arbeitgeber möglich. Maßgeblich ist der Zugang der ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit.[7] Sobald die Anzeige zugegangen ...

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