Rz. 443

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes liegt beim Arbeitgeber, § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber den gesamten Kündigungssachverhalt in einem gerichtlichen Verfahren nachvollziehbar und konkret beschreiben und im Streitfall auch geeigneten Beweis für seinen Vortrag anbieten muss. Schlagwortartige Angaben reichen dabei nicht aus.

 

Rz. 444

Zunächst ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet für den objektiven Verhaltensverstoß des Arbeitnehmers. Das objektive Verhalten ist dabei im Einzelnen nach Ort, Zeit und näheren Umständen so konkret zu beschreiben, dass eine gerichtliche Prüfung ermöglicht wird. Unklarheiten hinsichtlich der Umstände, die einen Kündigungsgrund darstellen, gehen zulasten des Kündigenden (BAG, Urteil v. 31.5.1990, 2 AZR 535/89[1]).

 

Beispiel

Ein Arbeitnehmer wird von einem Kollegen beim Diebstahl von Arbeitsmaterialien beobachtet. Der Arbeitgeber hat im Kündigungsschutzprozess anzugeben, zu welchem Zeitpunkt und wo die Wegnahme welcher konkret beschriebenen Materialien durch den gekündigten Arbeitnehmer erfolgt ist. Bestreitet der Arbeitnehmer die Wegnahme, hat der Arbeitgeber anzugeben, welcher namentlich benannte Kollege als Zeuge die Beobachtung angestellt hat und dessen ladungsfähige Anschrift (Heimatadresse oder ggf. "zu laden über den Arbeitgeber") mitzuteilen.

 

Rz. 445

Die Darlegungs- und Beweislast für das Verschulden hinsichtlich der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten trägt ebenfalls der Arbeitgeber.

 

Beispiel

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung wegen des Erschleichens einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung obliegt dem Arbeitgeber nicht nur der Nachweis, dass der Arbeitnehmer gefehlt hat, sondern auch der Beweis, dass er unentschuldigt gefehlt hat, also die behauptete Erkrankung nicht vorliegt. Da ein Attest grds. einen hohen Beweiswert hat, muss der Arbeitgeber also auch die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und notfalls beweisen, um dadurch die Beweiskraft des Attestes zu erschüttern (BAG, Urteil v. 15.7.1992, 5 AZR 312/91[2]). Erst wenn ihm dies gelingt, ist es Sache des Arbeitnehmers, die behauptete Erkrankung weiter zu substanziieren und ggf. – z. B. durch Benennung seines Arztes – Beweis anzutreten. Unter Umständen kann die Weigerung eines Arbeitnehmers, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, als Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sein (BAG, Urteil v. 8.5.2014, 2 AZR 75/13[3]).

 

Rz. 446

Bei der Verdachtskündigung hat der Arbeitgeber zur Begründung des Verdachts schlüssige Tatsachen vorzutragen, die seinen Verdacht rechtfertigen und im Streitfall zu beweisen, dass die Tatsachen tatsächlich zutreffen. Der Arbeitgeber darf seinen Verdacht nicht nur auf bloße Spekulationen stützen, sondern er muss vortragen, aus welchem Grund – z. B. aufgrund welcher Beobachtungen – der Verdacht entstanden ist und warum der Verdacht dringend ist. Für den Umstand der Beobachtungen ist Beweis anzutreten (BAG, Urteil v. 10.2.2005, 2 AZR 189/04[4]).

 

Beispiel

Dem Arbeitgeber bleibt es zwar unbenommen, sich Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft zu eigen zu machen und sie im Prozess – zumindest durch Bezugnahme – als eigene Behauptungen vorzutragen. Es genügt aber nicht, anstelle von unmittelbar verdachtsbegründenden Tatsachen lediglich den Umstand vorzutragen, auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von einem Tatverdacht aus (BAG, Urteil v. 25.10.2012, 2 AZR 700/11[5]).

 

Rz. 447

Auf etwaige Rechtfertigungsgründe muss sich der Arbeitnehmer berufen und diese im Falle des Bestreitens durch den Arbeitgeber durch Wiedergabe der konkreten Umstände, auf die der Arbeitnehmer seine Rechtfertigung stützt, dartun. Erst im Anschluss an einen substanziierten Vortrag des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber die Unrichtigkeit des Vortrags im Einzelnen darlegen und beweisen, sonst gilt die Rechtfertigung als zugestanden (BAG, Urteil v. 31.5.1990, 2 AZR 535/89[6]; BAG, Urteil v. 6.8.1987, 2 AZR 226/87[7]: Einwilligung des Arbeitgebers in Konkurrenztätigkeit als Rechtfertigungsgrund). Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substanziiert sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Arbeitgeber braucht nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe zu widerlegen (BAG, Urteil v. 27.5.1993, 2 AZR 631/92[8]; BAG, Urteil v. 19.12.1991, 2 AZR 367/91[9]).

 

Beispiel

Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen sind geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Liegen gewichtige, objektive Anhaltspunkte für eine erhebliche aktive Beteiligung des Arbeitnehmers an einer tätlichen Auseinandersetzung vor, darf sich der Arbeitgeber, der keine eigene Sachkenntnis hat, zunächst hierauf stützen. Unter einer solchen Voraussetzung ist es dem unmittelbar an dem Konflikt beteiligten Arbeitnehmer regelmäßig zumutbar, sich im Kündigungsrechtsstreit im Rahmen einer sekundären Vortragslast so weit ...

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