Rz. 78

Treten fortlaufend neue kündigungsrelevante Tatsachen zutage (sog. Dauertatbestand), beginnt die Ausschlussfrist nicht bereits mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte erstmals zur Kündigung berechtigt wäre.[1] Vielmehr hat er die Möglichkeit, nach jedem neu auftretenden Ereignis (z. B. unentschuldigtes Fehlen) bzw. erst nach Abschluss einer länger anhaltenden Störung (z. B. Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Gewissenskonflikts) innerhalb von 2 Wochen die außerordentliche Kündigung auszusprechen.[2] Zur Fristwahrung reicht es also aus, wenn die kündigungsbegründenden Umstände auch noch bis mindestens 2 Wochen vor Zugang der Kündigungserklärung vorlagen.[3]

 

Rz. 79

Zahlreiche nacheinander auftretende Ereignisse i. d. S. sind z. B. häufige Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss sich dann nach jeder einzelnen Pflichtverletzung innerhalb von 2 Wochen entscheiden, ob er sie als Anknüpfungspunkt für eine außerordentliche Kündigung nimmt, wenn nicht innerhalb dieser Zeit eine weitere ähnliche (s. Rz. 33) Vertragsverletzung auftritt. Die vorherigen Ereignisse können allerdings vollständig – und nicht nur unterstützend – in die Gesamtwürdigung des wichtigen Grundes einbezogen werden (zur Gesamtwürdigung s. Rz. 29 ff.).[4]

 
Hinweis

Der Arbeitgeber kann den Beginn der Frist des Abs. 2 allerdings nicht mit der Begründung hinauszögern, die Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers hätten zu einem fortwirkenden Vertrauensverlust geführt, der noch anhalte. Hierin liegt kein Dauertatbestand, da die Vorgänge, auf denen der Vertrauensverlust beruht, bereits abgeschlossen sind. Ob das Vertrauen derart gravierend geschädigt ist, dass eine (außerordentliche) Kündigung notwendig ist, ist eine Frage der Interessenabwägung, die der Arbeitgeber innerhalb der 2-wöchigen Überlegungsfrist zu treffen hat.[5]

 

Rz. 80

Bei einer Betriebsänderung oder Betriebsstilllegung, bei der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer außerordentlich gekündigt werden können (sog. Orlando-Kündigung; hierzu Rz. 18 ff.), kennt der Arbeitgeber die kündigungsrelevanten Tatsachen mit Sicherheit erst mit der Ausführung des Plans. Dementsprechend beginnt die Ausschlussfrist erst mit dem Tag, an dem der Arbeitnehmer nicht mehr oder zu geänderten Bedingungen (s. Rz. 21 f.) weiterbeschäftigt werden kann[6].

 

Rz. 81

Im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung ist nicht eine Erkrankung als solche Grund für die Kündigung, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Daher kann nicht nur im Falle einer Kündigung aufgrund lang andauernder Krankheit[7] ein Dauertatbestand vorliegen, sondern auch im Falle einer Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen. Es kommt hier für die Wahrung der Frist des Abs. 2 nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bis mindestens 2 Wochen vor Zugang der Kündigung – zufällig – arbeitsunfähig war. Maßgebend ist allein, ob die auf der fortbestehenden Krankheitsanfälligkeit beruhende negative Prognose sowie die sich daraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen noch bis mindestens 2 Wochen vor Zugang der Kündigung fortbestanden haben.[8]

[1] So noch BAG, Urteil v. 9.7.1964, 2 AZR 419/63, AP BGB § 626 Nr. 52.
[7] S. hierzu BAG, Urteil v. 21.3.1996, 2 AZR 455/95, NZA 1996, 871 f.

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