Rz. 44

Ausfluss des ultima ratio-Prinzips ist es, dass einer außerordentlichen (wie auch einer ordentlichen) Kündigung i. d. R. eine Abmahnung vorauszugehen hat, um dem Vertragsgegner die Gelegenheit zu geben, die Störung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen, insbesondere sein Fehlverhalten zu ändern. Dementsprechend bedarf es stets einer Abmahnung, wenn der Vertragsgegner mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.[1]

 
Hinweis

Vor Gericht scheitern zahlreiche Kündigungen an unzureichenden – insbesondere nicht hinreichend konkreten – Abmahnungen. Neben ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörungen bilden Abmahnungen die Sollbruchstellen für Kündigungen. Auch bei Abmahnungen ist daher häufig rechtliche Beratung angezeigt.[2]

Bei besonders schwer wiegenden Verstößen ist eine Abmahnung entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat.[3] Diese Grundsätze gelten prinzipiell auch für eine Kündigung seitens des Arbeitnehmers, kommen dort allerdings seltener zum Tragen.[4]

 

Beispiel

Das BAG verzichtete in einem Fall, in dem sich der Arbeitgeber geweigert hatte, die zulässigen Arbeitshöchstzeiten einzuhalten, auf eine Abmahnung vor einer arbeitnehmerseitigen außerordentlichen Kündigung.[5]

 

Rz. 45

Eine Abmahnung ist bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber sowohl für Störungen im Leistungsbereich als auch für Störungen des Betriebsfriedens in Erwägung zu ziehen. Lediglich bei einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung ist sie von vornherein entbehrlich. Während das BAG früher für Störungen im Vertrauensbereich eine vorherige Abmahnung nicht für erforderlich gehalten hatte, hat es diese Differenzierung nach Störbereichen mittlerweile aufgegeben.[6]

Auch bei Störungen im Vertrauensbereich bedarf es demnach jedenfalls dann einer Abmahnung, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wiederhergestellt wird.[7] § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen; dass bei Pflichtverletzungen vor der Kündigung eine Abmahnung notwendig ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie bei einer Kündigung aus einem anderen Grund entbehrlich ist.

 

Rz. 46

Für die Abmahnung im Fall von Störungen sowohl im Leistungs- als auch im Vertrauensbereich gelten die gleichen Bedingungen wie für Abmahnungen, die einer ordentlichen Kündigung vorausgehen.[8]

 
Hinweis

Handelt es sich um geringfügige Pflichtverletzungen oder liegen diese schon länger zurück, kann eine erneute Abmahnung notwendig sein.[9] Andererseits kann durch eine Vielzahl von Abmahnungen deren Warnfunktion verloren gehen, wenn der Vertragspartner nicht mehr damit rechnen muss, dass beim nächsten Pflichtverstoß die Kündigung droht. Es ist deshalb ratsam, die Abmahnungen in ihrer Dringlichkeit zu steigern. Verzichtet der Kündigungsberechtigte aus irgendeinem Grund auf die Kündigung – etwa weil der Arbeitnehmer gerade unentbehrlich ist für den Fortgang des Betriebsablaufs – und spricht er stattdessen eine erneute Abmahnung aus, sollte er dies klarstellen und sich ausdrücklich die Kündigung beim nächsten Verstoß vorbehalten.

Abmahnungen sollten zu Beweiszwecken stets schriftlich abgefasst werden und Eingang in die Personalakte finden. Außerdem ist es ratsam, für jeden Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten ein eigenes Abmahnungsschreiben zu fertigen. Erweist sich nämlich ein Vorwurf als ungerechtfertigt oder nicht hinreichend konkret, ist die gesamte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

 

Rz. 47

Ob eine Abmahnung eine ausreichende Warnung an den Arbeitnehmer darstellt und damit im Wiederholungsfall eine Kündigung gerechtfertigt ist, ist von der Frage zu unterscheiden, ob eine Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen ist. Häufig stellen Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess zusätzlich den Antrag, eine Abmahnung (die der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung heranzieht) aus der Personalakte zu entfernen. Es gibt Abmahnungen, die sich zwar berechtigterweise in der Personalakte befinden, die aber nicht zur Begründung einer späteren Kündigung dienen können, etwa, weil sie sich auf einen ganz anderen Verhaltensverstoß des Arbeitnehmers beziehen, also nicht einschlägig sind, oder weil der Arbeitnehmer nicht ausreichend Zeit hatte, um sein Verhalten zu ändern. Auf der anderen Seite kann eine Abmahnung eine hinreichende Warnfunktion erfüllen und trotzdem aus der Personalakte zu entfernen sein. Dies ist z. B. der Fall, wenn zusätzlich ein weiteres Verhalten des Arbeitnehmers abgemahnt worden ist und die Abmahnung insoweit auf einem fehlerhaften Sachverhalt beruht. Nach dem Motto "Ein faules Ei verdirbt den ganzen Brei" ist die Abmahnung dann vollständig aus der Personalakte zu nehmen. I. d. R. dürfte die Warnfunktion im Übrigen aber ausr...

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