Rz. 1

§ 626 BGB beruht auf dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass sich die Parteien eines Dauerschuldverhältnisses bei unzumutbarer Belastung vom Schuldverhältnis lösen können. Dieser Grundsatz hat mittlerweile in § 314 BGB, lex generalis zu § 626 BGB, eine weitere Ausprägung erfahren. Dementsprechend gilt § 626 BGB für beide Arbeitsvertragsparteien gleichermaßen; deshalb kann auch bei einer außerordentlichen Kündigung[1] durch den Arbeitnehmer eine Abmahnung erforderlich sein (hierzu Rz. 44 ff.).

 

Rz. 2

Die Ausschlussfrist des Abs. 2 dient dem Gebot der Rechtssicherheit. Hat der eine Vertragsteil die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung verwirklicht, darf nicht unangemessen lange Zeit ungewiss bleiben, ob der andere Teil daraus die kündigungsrechtlichen Folgen zieht.[2] Der Kündigungsberechtigte soll sich zwar keinen Kündigungsgrund "aufsparen" können, um dadurch womöglich den Vertragspartner unter Druck zu setzen.[3] Er soll aber auch nicht zu hektischer Eile getrieben werden.[4] Verstreicht die Frist des Abs. 2, wird unwiderleglich vermutet, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Bedeutung verloren hat.[5]

 

Rz. 3

Die außerordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis, sie trägt indes keinen Strafcharakter in sich. Dementsprechend kann sie nicht damit gerechtfertigt werden, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei als Sanktion für ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers erforderlich. Stattdessen gilt das Prognoseprinzip: Der wichtige Grund liegt stets in der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings kann sich auch aus zurückliegenden schwer wiegenden Ereignissen ein Vertrauensbruch ergeben, der eine Fortsetzung unzumutbar macht (s. Rz. 52 ff.).

 

Rz. 4

Der fehlende Sanktionscharakter der Kündigung dürfte auch der Grund dafür sein, dass der Arbeitgeber nicht gehalten ist, vor Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigung eine in einer Betriebsvereinbarung geregelte Betriebsbuße zu verhängen (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG): Jene sanktioniert in erster Linie und warnt nicht vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Warnung ist Aufgabe der Abmahnung.[6]

 

Rz. 5

Wer zur außerordentlichen Kündigung berechtigt ist, ist nicht gehindert, den Arbeitsvertrag – bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen – nach den §§ 142, 119 ff. BGB anzufechten. Das Kündigungsrecht schließt das Anfechtungsrecht nicht aus.[7]

[1] Zu Kündigung und Kündigungserklärung im Allgemeinen s. Gabrys, § 1 KSchG Rz. 1, Rz. 119 ff.; Checkliste bei Gabrys, § 1 KSchG Rz. 171.
[2] BAG, Urteil v. 4.6.1997, 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158, 1159 f.
[4] BAG, Urteil v. 15.11.1995, 2 AZR 974/94, NZA 1996, 419, 423; die Frist stellt deshalb auch eine sog. Überlegungsfrist dar.
[6] BAG, Urteil v. 17.1.1991, 2 AZR 375/90, NZA 1991, 557, 560, begründet dies v. a. mit einer systemwidrigen Vermengung von individual- und kollektivrechtlichen Bereichen.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge