Rz. 35

Im Folgenden sollen diejenigen insbesondere vom BAG aufgestellten Grundsätze dargestellt werden, die im Fall der Kündigung im Kleinbetrieb bei der Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern materiellrechtlich sowie hinsichtlich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast (zu den allgemeinen Grundsätzen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei § 242 BGB im Zusammenhang mit einer Kündigung vgl. Rz. 49 ff.) zu beachten sind. Sie tragen dem auch im ersten Kleinbetriebsbeschluss des BVerfG[1] erwähnten Ausgangspunkt Rechnung, dass die Beweislastregel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wonach der Arbeitgeber die die Kündigung bedingenden Tatsachen zu beweisen hat, außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht gilt. Es obliegt grundsätzlich dem Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass die Kündigung nach § 242 BGB treuwidrig ist.[2]

 

Rz. 36

Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers, auch im Prozessrecht, ist jedoch dadurch gewährleistet, dass die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anzuwenden sind.[3] Andererseits darf der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im KSchG vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden.[4]

 

Rz. 37

Die Grundsätze des § 1 KSchG über die soziale Auswahl sind nicht entsprechend anwendbar[5] In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, der die Auswahlüberlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, regelmäßig nicht kennt, nur einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert.[6] Der Arbeitnehmer hat Sozialdaten vorzutragen, aus denen sich bei einem Vergleich mit (mindestens) einem anderen Arbeitnehmer evident ergeben muss, dass jener erheblich sozial schutzbedürftiger ist als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer.[7] Hieraus folgt:

 

Rz. 38

Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer die Sozialdaten der aus seiner Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer im Kleinbetrieb, zumindest wie sie ihm bekannt sind, darlegt.

 

Beispiel

[8]

"Arbeitnehmer X, ca. 40 Jahre alt, seit etwa 4 Jahren beschäftigt, meines Wissens verheiratet."

 

Rz. 39

Ist danach auf den ersten Blick erkennbar, dass der Arbeitgeber einen erheblich weniger schutzbedürftigen, vergleichbaren Arbeitnehmer weiterbeschäftigt, so spricht dies dafür, dass der Arbeitgeber das erforderliche Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat.[9] Sodann muss sich der Arbeitgeber qualifiziert auf diesen Vortrag einlassen (§ 138 Abs. 2 ZPO), um ihn zu entkräften. In diesem Zusammenhang obliegt es dem Arbeitgeber aus Gründen der Sachnähe auch, Angaben zu seinen Auswahlüberlegungen zu machen. Kommt er dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Trägt der Arbeitgeber hingegen die betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vor, die ihn dazu bewogen haben, den auf den ersten Blick sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmer zu entlassen, so muss der Arbeitnehmer die Tatsachen beweisen, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung ergeben soll.[10]

Auch die Frage der Vergleichbarkeit muss im Rahmen des § 242 BGB im Lichte des Umstands gesehen werden, dass Kündigungsschutz nach dem KSchG nicht besteht und der Arbeitgeber zu einer sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht verpflichtet ist. Entscheidend ist vielmehr, ob das an sich bestehende Kündigungsrecht missbräuchlich ausgeübt wird. Dem Arbeitgeber im Kleinbetrieb ist mithin keine sorgfältige rechtliche Vorprüfung abzuverlangen, wie sie bei Bildung der auswahlrelevanten Personenkreise nach dem Kündigungsschutzgesetz erforderlich ist.[11]

Da es in der Sache allein um einen Ausschluss von Willkür und sachfremden Motiven geht, ist ein nach § 242 BGB beachtlicher Auswahlfehler nur dann evident, wenn die Nichteinbeziehung eines Arbeitnehmers in den Auswahlkreis willkürlich ist. Nur wenn sich aus dem Vorbringen des Arbeitnehmers auf den ersten Blick ergibt, dass der Arbeitgeber davon ausgehen musste, der gekündigte und der oder die nicht gekündigten Arbeitnehmer seien ohne weiteres austauschbar, kann von einem "evidenten" Auswahlfehler gesprochen werden.[12]

Das BAG stellt zur Ermittlung der Vergleichbarkeit darauf ab, ob der gekündigte Arbeitnehmer nur mit einer Vertragsänderung auf dem Arbeitsplatz des nicht gekündigten Arbeitnehmers beschäftigt werden kann, und darauf, ob dem gekündigten Arbeitnehmer die Aufgaben eines anderen Arbeitnehmers nur unter besonderen vertraglichen Voraussetzungen zugewiesen werden können.[13]

 

Beispiel

[14]

Kläger, gekündigt am 30.6.2000: Kundendienstmonteur (zuletzt fachlicher Betriebsleiter), geb. 1945, Arbeitsverhältnis seit Feb. 1997, verheiratet, keine Kinder. Arbeitnehmer J: teilweise im Verkauf, geb. 1970, Arbeitsverhältnis seit Ende 1999, verheiratet, keine Kinder. Arbeitnehmer H: Auslieferungsfahrer und Lagerarbeiter, geb. 1976, Arbeitsverhältnis seit Jan. 20...

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