Rz. 15

Eine Kündigung ist nicht deshalb treuwidrig, weil dafür keine Gründe mitgeteilt werden.[1] Dieses Ergebnis lässt sich auch aus dem Umkehrschluss zu § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB, § 17 Abs. 2 Satz 2 MuSchG und § 22 Abs. 3 BBiG herleiten. Denn nur in diesen gesetzlich normierten Fällen besteht eine Pflicht, mit der Kündigung auch die Gründe mitzuteilen (im Fall des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB nur auf Verlangen). Außer aus dem Gesetz kann sich eine Pflicht zur Begründung der Kündigung aus Individual- oder Tarifvertrag ergeben; allerdings ist im Wege der Auslegung genau zu prüfen, ob die Verletzung dieser Pflicht die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung hat.[2]

Der vereinzelt gebliebenen Auffassung, es sei geboten, eine Kündigung eines Arbeitnehmers in betriebsratslosen Betrieben ohne dessen vorheriger Anhörung als unzulässige Rechtsausübung anzusehen[3], ist nicht zu folgen. Rechtsprechung und herrschende Lehre verlangen eine Anhörung des Arbeitnehmers außer für eine Verdachtskündigung nicht einmal nach § 626 BGB oder § 1 KSchG. Da der Verdacht der Begehung einer Straftat oder einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen eigenen Kündigungsgrund darstellt, der Arbeitgeber aber außerhalb der Geltung der §§ 1 ff. KSchG zur Angabe von Gründen nicht nach § 242 BGB verpflichtet ist, lässt sich auch hieraus nicht folgern, das Unterbleiben einer Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Kündigung verstoße gegen § 242 BGB (s. auch Rz. 13).

Es ist nicht treuwidrig, wenn einem Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis das KSchG nicht anwendbar ist, während oder sogar wegen einer Erkrankung gekündigt wird.[4] Dies wird teils damit begründet, dass die Bestimmung des § 8 EFZG, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit auf die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung keinen Einfluss hat, ansonsten überflüssig wäre[5], teils damit, dass die krankheitsbedingte Kündigung außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes erst recht zulässig sei, weil Krankheit eine Kündigung sogar sozial rechtfertigen könne[6]. Das LAG Baden-Württemberg[7] entschied, eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im Kleinbetrieb verstoße auch dann nicht gegen § 242 BGB, wenn das Arbeitsverhältnis z. Zt. der Kündigung mehr als 25 Jahre bestanden und der Arbeitnehmer in den 10 Jahren vor der Kündigung an 38, 4, 15, 14, 8, 45, 35, 41 bzw. 73 Arbeitstagen krankheitsbedingt, wenngleich aufgrund verschiedener Ursachen, gefehlt habe. Wird die Kündigung wegen des Fehlens oder der Ablehnung einer Corona-Schutzimpfung erklärt, liegt darin kein verwerfliches Motiv.[8] Ebenfalls als nicht treuwidrig wurde die Kündigung eines erkrankten Arbeitnehmers im Kleinbetrieb erachtet, der nach seinem eigenen Vorbringen nicht in der Lage war, der Arbeitgeberin eine konkrete Aussage über seine mögliche Rückkehr mitzuteilen, während sich die Arbeitgeberin in einer Situation mit sehr dünner Personaldecke befand und es für notwendig hielt, sofort Gegenmaßnahmen, auch durch Neueinstellungen, zu ergreifen.[9] In dem Umstand, dass eine Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin am Weltfrauentag erklärt wird, liegt weder eine geschlechtsspezifische Diskriminierung noch ein Verstoß gegen § 242 BGB.[10]

 

Rz. 16

Es ist weder treuwidrig noch verstößt es gegen das Maßregelungsverbot, wenn der Arbeitgeber als Reaktion auf eine erhobene Entfristungsklage das Arbeitsverhältnis vorsorglich kündigt. Der Arbeitgeber macht damit nur von seiner allgemeinen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch.[11] Dieses Ergebnis erscheint angesichts des § 612a BGB nicht völlig unproblematisch. Das BAG begründet es damit, dass § 16 Satz 1 Halbsatz 2 TzBfG ausdrücklich die Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber bei unwirksamer Befristung vorsieht; das TzBfG ordne gerade nicht an, dass der Arbeitgeber nach einer durch den Arbeitnehmer erhobenen Entfristungsklage einem Kündigungsverbot oder etwaigen Sperrfristen unterliegt. Dem ist zuzustimmen.

 

Rz. 17

Das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Verkäuferin in einem Kaufhaus des Arbeitgebers hat das BAG unter Würdigung der grundrechtlich geschützten Positionen beider Seiten jedenfalls so lange nicht für ausreichend zur Annahme eines Treueverstoßes gehalten, als der Arbeitgeber nicht Tatsachen vorträgt, aufgrund derer es bei einem weiteren Einsatz der Arbeitnehmerin als Verkäuferin mit dem Kopftuch zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen kommen würde.[12]

Nachdem sich eine Vorlage durch das BAG an den EuGH zu der Frage, ob eine wegen Austritts aus der katholischen Kirche erklärte Wartezeitkündigung einer Hebamme durch ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft nach einem Anerkenntnis der Arbeitgeberin ohne Sachentscheidung erledigt hatte (siehe Rz. 8), hat das BAG dem EuGH mit Beschluss vom 1.2.2024[13] ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt, das eine ähnliche Situation im Kleinbetrieb betrifft. Die Arbeitgeberin, ein der katholischen Kirche zugeordneter Ve...

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