Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Auslegung von Versicherungsbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

Mit In-Kraft-Treten des SGB II (zum 1.1.2005) ist das Arbeitslosengeld II an die Stelle von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe getreten. Die Arbeitslosenhilfe war (bis Ende 2004) eine Entgeltersatzleistung, die sich der Höhe nach auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung bezog (Lohnausfallprinzip); vorausgesetzt war, dass der Leistungsempfänger vor dem Bezug von Arbeitslosenhilfe eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte.

Demgegenüber ist das Arbeitslosengeld II bedarfsorientiert; es orientiert sich am individuell zu ermittelten Bedarf des Leistungsempfängers (Bedürftigkeitsprinzip). Die Ausübung einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit ist nicht (mehr) erforderlich; es genügt, dass der Leistungsempfänger erwerbsfähig ist. Damit ist ein (vom Gesetzgeber gewollter) Systemwechsel verbunden, der im Ergebnis bedeutet, dass dem Arbeitslosengeld II eine Lohnersatzfunktion abgesprochen werden muss.

Kommt dem Arbeitslosengeld II mithin eine Lohnersatzfunktion nicht zu, stellen für einen unfallbedingten Wegfall des Arbeitslosengeldes II erbrachte Rentenleistungen keinen übergangsfähigen Erwerbsschaden i.S.v. § 842 BGB dar.

 

Normenkette

BGB § 842; SGB X § 116 Abs. 10

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 17.06.2011; Aktenzeichen 9 O 1855/10)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 25.06.2013; Aktenzeichen VI ZR 128/12)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Erfurt vom 17.6.2011 - 9 O 1855/10 - wird zurückgewiesen.

Der Klägerin fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Das Urteil ist - wegen der Kosten - vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert der Berufung beträgt 12.192,05 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung; als solche klagt sie im Regresswege aus übergegangenem Recht gem. §§ 116, 119 SGB X gegen die Beklagte (unfallbedingte) Rentenleistungen ( i.H.v. 11.009 EUR) und entgangene Rentenbeiträge ( i.H.v. 1.183,05 EUR) ein, die sie für die am 20.5.2007 bei Teilnahme am Verkehr verunfallte (und deshalb erwerbsunfähige) C. St. als Ersatz für das (unfallbedingt) weggefallene Arbeitslosengeld II erbracht hat. Ferner begehrt sie (auch) Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr sämtlichen weiteren Ansprüche aus übergegangenen Schadensersatzansprüchen aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall im Rahmen ihrer Übergangsfähigkeit zu ersetzen. Die (100%ige) Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherer des den Unfall allein verschuldet habenden (Unfallgegners) Uwe Werner ist unstreitig.

Frau St. war (seit 1992) Langzeitarbeitslose; sie bezog vom 19.7.2003 bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe (nach der alten Gesetzeslage) und ab 1.1.2005 (mit In-Kraft-Treten des SGB II) jedenfalls bis Ende November 2010 Arbeitslosengeld II - unterbrochen nur durch eine Kurzbeschäftigung in der Zeit vom 24.10.2005 bis 4.11.2005.

Hinsichtlich der von der Klägerin in der Zeit vom 1.5.2008 bis 30.11.2010 erbrachten Rentenleistungen sowie des Beitragsregresses für die Zeit vom 1.7.2008 bis 30.11.2010, sowie hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes (I. Instanz) wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG Erfurt hat die Klage abgewiesen und die Übergangsfähigkeit der geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der streitgegenständlich erbrachten Rentenleistungen und des Beitragsregresses verneint, weil in der Person der Frau St. schon im Hinblick auf deren Langzeitarbeitslosigkeit kein übergangsfähiger Erwerbsschadensersatzanspruch i.S.v. § 842 BGB bestehe. Im Weiteren hat sich das Erstgericht zwar auch mit der Frage eines Systemwechsels des Arbeitslosengeldes II befasst, die Frage nach dessen grundsätzlicher Rechtsnatur - im konkreten Fall - jedoch letztlich offen gelassen, weil es die Eingliederung der (Langzeitarbeitslosen) Frau St. in den Arbeitsmarkt verneint hat.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.6.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 11.7.2011 eingegangenem Schriftsatz vom 7.7.2011 Berufung eingelegt und diese am 29.8.2011 - nach gewährter Fristverlängerung bis zum 22.9.2011 - begründet. Sie rügt zum Einen die vom LG vorgenommene Einzelfallprüfung und meint, jedwede Leistung nach dem SGB II sei zwingend an die vorhandene Arbeitsfähigkeit des Leistungsempfängers geknüpft. Unabhängig von der Berechnung des Arbeitslosengeldes II, mag sie auch "bedarfsorientiert" sein, soll der Leistungsempfänger so gestellt werden, als würde er ein entsprechendes - den Lebensunterhalt deckendes - Einkommen erzielen. Wenn der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II - auch bei Gewährung von Arbeitslosengeld II - auf Grund des Wegfalls der Arbeitsfähigkeit als Grundvoraussetzung eintrete, handele es sich...

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