Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindesunterhalt: Verwirkung rückständigen Unterhalts wegen langjähriger Nichtvollstreckung aus einem Unterhaltstitel

 

Leitsatz (amtlich)

Rückständiger Unterhalt muss nach einem Jahr geltend gemacht werden, sonst droht Verwirkung.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 1603; ZPO § 769

 

Verfahrensgang

AG Sondershausen (Beschluss vom 14.01.2009; Aktenzeichen 2 F 475/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17.2.2009 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Sondershausen vom 14.1.2009 abgeändert:

Dem Kläger wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... in ... für folgenden Antrag bewilligt:

Die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1. und 2. aus dem Teil-Anerkenntnisurteil des AG Artern vom 28.3.2002 - 5 FH 232/01, wird für unzulässig erklärt, soweit Unterhaltsrückstände gegen den Kläger für die Zeit vom 1.1.2002 bis 30.9.2006 geltend gemacht werden.

 

Gründe

I. Der Kläger ist der Vater der am ... geborenen Beklagten zu 1. und der am ... geborenen Beklagten zu 2. Diese erwirkten unter dem 28.3.2002 bei dem AG Artern (Az.: 5 F 232/01) gegen ihn ein Teilanerkenntnisurteil auf laufenden und rückständigen Kindesunterhalt. Zahlungen hierauf leistete der Kläger nicht.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 1.10.2007 forderten die Beklagten den Kläger erstmals auf, die Unterhaltsrückstände zu begleichen.

Beide Beklagten sind der Auffassung, sie könnten nach wie vor wegen Rückständen vor dem 1.10.2007 auch für den Zeitraum vom 1.1.2002 bis 23.12.2007 aus dem Teil-Anerkenntnisurteil vollstrecken.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für seine Vollstreckungsgegenklage, mit der er die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Teil-Anerkenntnisurteil, soweit sie die Zeit vor dem 1.3.2007 betrifft, geltend macht.

Er ist der Auffassung, die vor diesem Zeitraum liegenden Unterhaltsansprüche seien verwirkt, weil die Beklagten zu 1. und 2. den titulierten Unterhalt über Jahre nicht geltend gemacht hätten.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, ein Verwirkungstatbestand sei nicht gegeben. Die Zwangsvollstreckung sei nicht betrieben worden, weil sie nach den Einkommensverhältnissen des Klägers keinen Erfolg versprochen, sondern nur Kosten verursacht hätte.

Das AG hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen. Es hat zur Begründung - unter Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten - ausgeführt, die "einschlägig bekannte Rechtsprechung" des OLG Jena beziehe sich im Wesentlichen auf nicht titulierte Unterhaltsrückstände. Titulierten Forderungen könne nur ausnahmsweise der Verwirkungseinwand entgegengehalten werden. Zu einem Zeitmoment, welches im vorliegenden Fall "überhaupt nicht" erreicht sei, müsse ein entsprechendes Umstandmoment kommen.

Hiergegen wehrt sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, der das AG nicht abgeholfen hat.

Die Antragsgegnerinnen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie verteidigen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, da die Vollstreckungsgegenklage ohne Erfolgsaussicht sei.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 127 II 2 ZPO zulässig und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch Erfolg.

Ansprüche der Antragsgegnerinnen auf rückständigen Unterhalt sind, soweit sie den Zeitraum vor dem 1.10.2006 betreffen, wegen langjähriger Nichtgeltendmachung verwirkt, § 242 BGB.

Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment; BGHZ 146, 217, 220). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGH FamRZ 2002, 1698).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH seit 16.6.1982 (FamRZ 1982, 898, zuletzt FamRZ 2007, 543), der die Familiensenate des OLG Jena folgen (vgl. 1. FamS NJW-RR 2002, 1154 ff. und Beschluss des 2. FamS vom 24.9.2008 - 2 WF 350/08), unterliegen auch rückständige Unterhaltsforderungen der Verwirkung.

Rückständiger Unterhalt kann grundsätzlich der Verwirkung unterliegen, wenn sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung als unzulässig darstellt (vgl. BGHZ 84, 280, 282 und allgemein Stöckle in Brühl, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., Rz. 1444, 1452, 1463 ff. und 1475). Dieser bislang für nicht titulierte Ansprüche aufgestellte Grundsatz erfährt auch für titulierte Ansprüche - deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels eher näher liegen dürfte als bei nicht titulierten Forderungen - keine Einschränkung (vgl. BGH FamRZ 1999, 1422; KG in FamRZ 1994, 771; OLG Karlsruhe in FamRZ 1993, 1456, 1457).

Der Umstand, dass die Verjährung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes gegenüber ...

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